Der Buddha aus der Vorstadt
Newcastle-Brown-Bier, das Jamila, Changez und ich seit einiger Zeit bevorzugten, und schleppte die dickbauchigen Flaschen nach oben. Überall lagen hier noch Anwars Sachen herum, als ob er nur für einen Moment fortgegangen wäre und gleich zurückkommen würde. Es war ein trauriger Anblick: die Pantoffeln, Zigaretten, die fleckigen Westen und die Gemälde von Sonnenuntergängen, die Anwar für Meisterwerke gehalten und mir vererbt hatte.
Wir drei waren müde, konnten aber noch nicht schlafen. Außerdem mußten Jamila und ich uns um den unablässig weinenden Changez kümmern, den wir insgeheim nur noch den Dildo-Killer nannten. Rein äußerlich gesehen schien Dildo-Killer stärker zu trauern als wir alle zusammen - wahrscheinlich weil er noch nicht so angepaßt, nicht so englisch war wie wir -, obwohl sein Opfer Anwar ihn gehaßt hatte und ermordet worden war, als er versuchte, Changez’ Hirn zu Kartoffelpüree zu verarbeiten. Als ich Changez’ Gesicht sah, das sich jammervoll verzerrte und zuckte, merkte ich, daß seine Aufregung nicht Anwar, sondern Jamila galt. Daß er den alten Mann los war, freute ihn eher, aber er hatte Angst, Jamila könnte ihm Vorwürfe machen, weil er ihrem Dad eins über den Schädel gezogen hatte, und daß sie ihn deshalb vielleicht weniger lieben würde, als sie es ohnehin schon tat.
Jamila war ruhiger als sonst, was mich nervös machte, weil ich deshalb die Unterhaltung allein in Gang halten mußte, doch immerhin war Jamila gelassen und gefaßt. Sie trauerte, weinte aber kaum. Ihr Vater war zum falschen Zeitpunkt gestorben, viel wäre noch zu klären und in Ordnung zu bringen gewesen. Sie hatten noch nicht einmal damit begonnen, gemeinsam als Erwachsene zu leben. Was blieb, war ein Stückchen vom Himmel aus jenen Tagen, als er das kleine Mädchen auf seinen Schultern durch den Laden getragen hatte; und dann war sie eines Tages nicht mehr da gewesen, war gegen eine Fremde, eine verschlossene und schweigsame Frau eingetauscht worden, bei der er nicht wußte, wie er mit ihr reden sollte. Verwirrt, schwach und vernarrt in sie, wie er war, hatte er sich für Unnachgiebigkeit entschieden und trieb sie so von sich fort. Die letzten Jahre hatte er damit verbracht, sich zu fragen, wohin sie gegangen war, und nur langsam begriffen, daß sie nie zurückkehren würde, und daß der Ehemann, den er ihr ausgesucht hatte, ein Idiot war.
Jamila, die wieder Jeans und ein Sweat-Shirt auf links trug, legte sich in das harte, orangefarbene Sofa zurück und nuckelte an einer Flasche Browns. Changez und ich teilten uns eine Flasche. Was für ein großer Moslem er doch war, trank Alkohol am Tag der Beerdigung. Nur zusammen mit Changez und Jamila fühlte ich mich wie das Mitglied einer Familie. Wir drei waren mit Banden aneinander geknüpft, die stärker waren als unsere Charaktere, stärker auch als die Frage, ob man sich mochte oder nicht.
Jamila redete langsam und nachdenklich. Ich fragte mich, ob sie vielleicht Valium geschluckt hatte. »Was in den letzten Tagen geschehen ist, hat mich darüber nachdenken lassen, was ich eigentlich mit meinem Leben anfangen will. Ich bin schon seit einer Weile nicht mehr zufrieden mit dem, wie die Dinge so laufen. Ich war die ganze Zeit träge und altmodisch, und das gefällt mir überhaupt nicht. Ich werde die Wohnung aufgeben. Ich überlasse sie wieder dem Vermieter, es sei denn, du« - sie sah zum Dildo-Killer hinüber - »willst die Miete zahlen. Ich möchte woanders leben.«
Der Killer war entsetzt. Er wurde im Stich gelassen. Verzweifelt sah er zwischen seinen Freunden hin und her. Er war blaß geworden. So ging das also. Ein paar einfache Worte wurden gewechselt, und danach war nichts mehr so wie zuvor. Den einen Tag lag man auf dem Feldbett wie im siebten Himmel, den nächsten Tag steckte man bis zum Hals in der Scheiße. Jamila war ziemlich direkt, und Direktheit war nicht gerade die Methode, die ich bevorzugt hätte. Changez hatte sich auch nie daran gewöhnen können. »Woanders? Wo denn?« stieß er hervor.
»Ich möchte anders leben, es wenigstens ausprobieren. Ich hab mich hier einsam gefühlt.«
»Ich bin doch jeden Tag hier.«
»Changez, ich will gemeinsam mit einem Haufen Leute Zusammenleben - mit Freunden, die sich in Peckham ein großes Haus gekauft haben.«
Sie streichelte ihm die Hand, als sie ihm die Neuigkeit beibrachte. Es war das erste Mal, daß ich sie freiwillig ihren Ehemann berühren sah.
»Und was ist mit Changez, Jammie?« fragte
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