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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Ignoranz gegenüber allen weltlichen Dingen und seiner offenen Arroganz, seinem »Wenn du willst, kannst du alles erreichen«, war weder von Zweifeln noch von Wissen geplagt und konnte Eva das Vertrauen und die Unterstützung geben, die sie immer gesucht hatte. Doch je mehr Eva aufblühte, um so stärker entfernte sie sich auch von ihm. Eva war ewig unterwegs, und ich wußte, daß Dad mehr als je zuvor an Mum dachte und sie wahrscheinlich idealisierte. Er hatte Mum nicht wiedergesehen, aber sie telefonierten jetzt miteinander, während ihre gemeinsamen Angelegenheiten vorher immer von mir erledigt worden waren.
    Anwar starb. Er nuschelte etwas von Bombay, vom Strand, von den Jungen in der Domschule, dann rief er nach seiner Mutter. Jamila bestand darauf, daß er an einem ihrer Lieblingsplätze beerdigt wurde, einem kleinen, grasbewachsenen Platz, zu dem sie oft kam, um zu lesen, und an dem sich Schwule trafen, um sich zu sonnen und Kontakte zu knüpfen. Anwars Leiche wurde von seinen Freunden in der nahegelegenen Moschee gewaschen, und fünf Inder, angezogen in schreiend bunten und grellen Farben, trugen den Sarg zum Grab. Einer der fünf Männer hatte eine Hasenscharte und war geistig etwas zurückgeblieben; ein anderer trug einen kurzen, weißen Bart. Man öffnete den Sargdeckel, und ich reihte mich in die Schlange derer ein, die an dem aufgebahrten Leichnam vorbeizogen, denn ich wollte wie immer nichts verpassen; aber Dad hielt mich am Arm fest, als wäre ich ein kleiner Junge, und ließ mich auch nicht gehen, als ich versuchte, mich von ihm zu befreien. »Du würdest es nie vergessen«, sagte er. »Versuch, Onkel Anwar anders in Erinnerung zu behalten.«
    »Wie denn?«
    »Wie er in seinem Laden stand, zum Beispiel.«
    »Meinst du das ernst?«
    »Wie er die Regale auffüllt«, sagte Dad sarkastisch.
    Es gab einen kleinen Streit, als einer der Inder einen Taschenkompaß zückte und verkündete, daß das Loch nicht in die richtige Richtung, nach Mekka zeigte. Die fünf Inder verschoben den Sarg ein wenig und murmelten dabei Verse aus dem Koran. Irgendwie erinnerte mich das an den Tag, als ich in der Schule vor die Tür gesetzt worden war, weil ich gefragt hatte, was die Menschen im Himmel anhätten. Ich hatte geglaubt, ich sei einer der ersten Menschen in der Geschichte, der alle Religionen für kindisch und unerklärlich hielt.
    Doch während ich diesen seltsamen Wesen - den Indern - zusah, spürte ich, daß ich irgendwie zu ihnen gehörte, und daß ich mein Leben lang versucht hatte, diese Tatsache zu verdrängen oder zu verleugnen. Gleichzeitig schämte ich mich und fühlte mich unvollständig, als fehlte die Hälfte meines Selbst noch, oder als hätte ich meinen Feinden in die Hände gespielt, jenen Weißen, die wollten, daß die Inder so würden wie sie selbst. Teilweise gab ich Dad daran die Schuld. Wie Anwar hatte er schließlich die meiste Zeit seines Lebens kein Interesse daran gezeigt, jemals nach Indien zurückzukehren. Darin war er immer ehrlich gewesen: England war ihm in jeder Hinsicht lieber. Hier funktionierte alles; es war nicht so heiß, man sah keine schrecklichen Dinge auf der Straße, gegen die man nichts machen konnte. Er war nicht stolz auf seine Vergangenheit, aber er schämte sich deshalb auch nicht; sie existierte einfach, und es war sinnlos, aus ihr einen Fetisch zu machen, wie es einige Liberale und asiatische Radikale so gerne taten. Wenn ich also meiner Persönlichkeit den zusätzlichen Bonus einer indischen Vergangenheit anheften wollte, würde ich sie mir erfinden müssen.
    Als man den Sarg ins Grab hinabsenkte und nichts auf der Welt grausamer zu sein schien als das Leben, stolperte Jamila plötzlich, als würden ihre Beine sie nicht mehr tragen, sackte kraftlos in sich zusammen und wäre beinahe in die Grube gefallen, der langsam verschwindenden Kiste hinterher. Changez, der seine Frau den ganzen Tag über nicht aus den Augen gelassen hatte, war unverzüglich an ihrer Seite, versank knöcheltief im Morast, aber endlich hielt er seine Frau in den Armen, berührte ihren Körper. Auf Changez’ Gesicht zeigte sich ein fast ekstatisches Lächeln und weiter unten eine Erektion. Ziemlich unpassend für eine Beerdigung, dachte ich, besonders wenn man den zu Grabe Getragenen ermordet hatte.
    Nachdem Jamila an diesem Abend ihre Mutter zu Bett gebracht hatte - Jeeta hatte sofort mit dem Umbau des Kaufhaus Paradies beginnen wollen - durchstöberte ich den Laden auf der Suche nach dem

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