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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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du mußt sofort damit aufhören!«
    Dad verfiel in eine seiner wirkungsvollen Schweigephasen, indem er einfach dasaß, Daumen aneinandergelegt und den Kopf demütig gesenkt, wie ein Kind, das ausgeschimpft worden ist, im tiefsten Innern seines Herzens aber davon überzeugt ist, recht zu haben.
    »Also hör gefälligst auf, was soll ich denn sonst Jean sagen?« Ted geriet langsam in Wut. Dad saß immer noch.
    »Sag ihr: Harry ist ein Niemand.«
    Das nahm Ted den letzten Wind aus den Segeln. Wenn alles andere nichts half, mußte er sich notgedrungen eben doch auf einen Streit einlassen, obwohl er die Hände voller Plattenspielerteile hatte.
    Dann wechselte Dad den Ton und das Thema. Wie ein Fußballer, der mit einem langen, flachen Schuß die gegnerische Verteidigung durchbricht, fragte er Ted, wie es mit der Arbeit laufe, der Arbeit und dem Geschäft. Ted seufzte, aber sein Gesicht hellte sich auf: Bei diesem Thema fühlte er sich offenbar sicherer.
    »Harte Arbeit, sehr hart, von morgens bis abends.«
    »Ja?«
    »Arbeit, Arbeit, verdammt viel Arbeit!«
    Das interessierte Dad gar nicht. So dachte ich wenigstens. Dann tat er etwas Ungewöhnliches. Ich glaube nicht einmal, daß er sich überlegt hatte, was er tun würde. Er stand auf, ging zu Ted, legte ihm die Hand in den Nacken und zog Ted zu sich heran, bis Teds Nase sich in Dads Brust vergrub. Mindestens fünf Minuten lang blieb Ted in dieser Haltung, den Plattenspieler auf dem Schoß, bis Dad, der auf seinen
    Kopf heruntersah, schließlich sagte: „Es gibt zuviel Arbeit auf dieser Welt.«
    Irgendwie hatte Dad Ted von dem Zwang befreit, sich normal zu verhalten. Mit erstickter Stimme klagte Ted: »Kann einfach nicht aufhören.«
    »Doch, du kannst.«
    »Wie soll ich dann leben?«
    »Wie lebst du denn im Moment? Dein Leben ist eine Katastrophe. Handle nach deinen Gefühlen. Geh den Weg des geringsten Widerstandes. Tu, was dir Spaß macht - was es auch ist. Soll doch das Haus zusammenfallen. Laß dich gehen.«
    »Sei nicht blöd. Muß mich doch anstrengen.«
    »Unter keinen Umständen sollst du dich anstrengen«, sagte Dad bestimmt und nahm Teds Kopf zwischen seine Hände. »Wenn du nicht bald aufhörst, dich anzustrengen, wirst du sterben.«
    »Sterben? Ich?«
    »Ja, du. Daß du dir dauernd was vornimmst, macht dich kaputt. Kann man sich vielleicht vornehmen, sich zu verlieben? Und wer sich vornimmt, mit jemandem zu schlafen, der wird impotent. Handle nach deinen Gefühlen. Die ganze Anstrengerei ist doch beschränkt. Es gibt eine angeborene Weisheit. Mach nur, wozu du Lust hast.«
    »Wenn ich nach meinen verdammten Gefühlen handle, dann mach ich verdammt noch mal überhaupt nichts mehr«, sagte Ted dann, wenn ich mich richtig erinnere. Da er seine Nase gegen Dad preßte und nur dumpfe Geräusche von sich gab, war es nicht leicht, ihn gut zu verstehen. Ich hätte mir gern einen besseren Platz gesucht, um zu sehen, ob Onkel Ted in Tränen ausgebrochen war, aber ich wollte nicht quer durchs Zimmer stapfen und die beiden ablenken.
    »Dann mach eben gar nichts«, sagte Gott.
    »Das Haus wird zusammenfallen.«
    »Wen stört’s? Laß es fallen.«
    »Das Geschäft wird zusammenbrechen.«
    »Ist sowieso schon im Arsch«, schnaubte Dad.
    Ted sah zu ihm auf. »Woher weißt du das?«
    »Laß es zusammenbrechen. Mach in ein, zwei Jahren was anderes.«
    »Jean wird mich verlassen.«
    »Aber sie hat dich doch schon längst verlassen.«
    »O Gott, o Gott, o Gott, du bist der dümmste Mensch, den ich je getroffen habe, Harry.«
    »Vielleicht bin ich ziemlich dumm. Aber du leidest höllische Qualen. Und du schämst dich deshalb auch noch. Darf man neuerdings nicht einmal mehr leiden? Leide, Ted!« Ted litt. Er schluchzte ausgiebig.
    »Nun«, sagte Dad und kehrte zu seinen ursprünglichen Prioritäten zurück, »was ist los mit dem verdammten Plattenspieler?«
    Ted lief aus Dads Zimmer und sah Mum die Treppe mit einem gefüllten Teller Yorkshire-Pudding heraufkommen. »Was hast du mit Onkel Ted gemacht?« fragte sie schockiert. Sie stand da und sah zu, wie Onkel Teds endlose Beine einknickten und er am Fuße der Treppe zusammensackte wie eine sterbende Giraffe; in der Hand hielt er immer noch Dads Plattenspieler. Sein Kopf rutschte an der Wand entlang und rieb Frisiercreme in die Tapete, etwas, mit dem man Mum todsicher auf die Palme bringen konnte. »Ich habe ihn erlöst«, sagte Dad und rieb sich die Hände.
    Was für ein Wochenende! Die Verwirrung und der Schmerz, die Mum und

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