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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Dad quälten, waren fast greifbar; hätte ihre gegenseitige Abneigung eine physische Substanz gehabt, dann wäre unser Haus bis oben hin mit Schlamm gefüllt gewesen. Es schien, als bräuchte es nur noch eine kleine Bemerkung oder einen Zwischenfall, und sie würden sich umbringen, nicht aus Haß, sondern aus Verzweiflung. Sooft ich nur konnte, saß ich oben in meinem Zimmer, aber ich mußte mir immerzu vorstellen, daß sie sich gerade erstechen wollten. Und dann geriet ich in Panik, weil ich dachte, ich könnte sie nicht rechtzeitig auseinanderbringen.
    Am folgenden Samstag, als wir wieder alle beisammen waren und Stunden der Nähe und Gemeinsamkeit vor uns lagen, fuhr ich auf meinem Fahrrad aus der Suburbia und ließ das kleine Chaoshaus hinter mir. Es gab noch einen anderen Ort, an den ich gehen konnte.
    Als ich Onkel Anwars Laden, das Kaufhaus Paradies, betrat, sah ich, daß seine Tochter Jamila gerade die Regale auffüllte. Ihre Mutter, Prinzessin Jeeta, stand an der Kasse. Kaufhaus Paradies war ein staubiger Laden mit einer hohen, stuckverzierten Decke, von der die Farbe abblätterte. In der Mitte versperrte ein großes Regal den Weg, um das die Kunden herumschlurfen mußten; manchmal hoben sie die Füße, um über Kisten und Dosen zu steigen. Die Ware schien ohne System und völlig wahllos ausgelegt worden zu sein. Weil die Kasse eingezwängt in einer Ecke an der Tür stand, fror Jeeta ständig und trug das ganze Jahr über fingerfreie Handschuhe. Anwars Stuhl stand auf der anderen Seite des Ladens in einer Nische, aus der er mit ausdruckslosem Gesicht hervorstarrte. Draußen standen Kisten mit Gemüse. Paradies öffnete um acht Uhr morgens und schloß um zehn Uhr nachts. Seit einiger Zeit hatten sie sogar sonntags geöffnet; dafür nahmen sich Anwar und Jeeta jedes Jahr zu Weihnachten eine Woche Urlaub. Jedes Jahr nach Neujahr graute mir schon davor, Anwar sagen zu hören: »Nur noch dreihundertundachtundfünfzig Tage, bis wir uns wieder ungestört ausruhen können.«
    Ich wußte nicht, wieviel Geld sie besaßen. Aber falls sie überhaupt etwas besaßen, dann mußten sie es vergraben haben, denn nie kauften sie sich die Sachen, wofür die Leute in Chislehurst ihre rechte Hand hergeben würden: Samt-Vorhänge, eine Stereoanlage, Martinis, elektrische Rasenmäher oder Doppelglasfenster. Sich zu amüsieren wäre Jeeta und Anwer nie eingefallen. Sie benahmen sich, als hätten sie eine unbegrenzte Anzahl von Leben vor sich: Dieses Leben war bedeutungslos, es war nur das erste in einer Reihe von vielen Hunderten, in denen sie ihr Dasein genießen konnten. Sie wußten auch nichts von der übrigen Welt. Ich fragte Jeeta oft nach dem Namen des Finanzministers oder danach, wer Außenminister von Großbritannien sei, aber sie kannte sie nicht und bedauerte ihre Unwissenheit auch nicht.
    Ich sah durch das Fenster, als ich mein Fahrrad an der Straßenlampe ankettete. Anwar konnte ich nicht sehen. Vielleicht war er zum Wettbüro gegangen. Eigenartig, daß er nicht da war; normalerweise strich er neugierig, unrasiert, rauchend und in einem vergammelten Anzug, den Dad ihm 1954 geschenkt hatte, um potentielle Ladendiebe herum, die er nur LDs nannte. »Hab heute zwei üble LDs erwischt«, sagte er dann. »Direkt vor meiner verdammten Nase, Karim. Den Ärschen habe ich’s gegeben.«
    Ich beobachtete Jamila, drückte meine Nase gegen die Fensterscheibe und stieß eine Reihe von Urwaldlauten aus. Ich war Mowgli, der Shere Khan herausforderte. Aber sie hörte mich nicht. Sie gefiel mir: Sie war klein und dünn, hatte große, braune Augen, eine winzige Nase und trug eine kleine Drahtbrille. Ihre Haare waren dunkel und wieder lang. Sie hatte nämlich Gott sei Dank den »natürlichen« Afro-Look aufgegeben, der in Penge vor einigen Jahren ziemliches Aufsehen erregt hatte. Jamila war sehr dynamisch und enthusiastisch. Sie schien sich ständig vorzubeugen, um zu argumentieren, zu überzeugen. Außerdem hatte sie einen dunklen Schnurrbart, der lange Zeit viel imposanter war als mein eigener. Er ließ sich höchstens mit meiner Augenbraue vergleichen - ich hätte nur eine, behauptete Jamila, und die läge dick und schwarz wie der Schwanz eines kleinen Eichhörnchens über meinen Augen. Sie sagte, zusammengewachsene Augenbrauen seien für die Römer ein Zeichen von innerem Adel gewesen; für die Griechen waren sie ein Zeichen von Heimtücke. »Was wird aus dir werden, Römer oder Grieche?» fragte sie mich oft.
    Ich war mit Jamila

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