Der Buddha aus der Vorstadt
ich nur konnte, fragte ich: »Wie kann denn Dads Benehmen unser Leben beeinflussen, Tante Jean?«
Tante Jean kratzte sich an der Nase. »Deine Mum hält es nicht mehr aus«, sagte sie. »Es liegt an dir, du mußt diesem Unsinn sofort ein Ende machen. Dann verlieren wir kein Wort mehr über die ganze Sache. Ehrenwort.«
»Nur an Weihnachten«, fugte Ted hinzu. Er sagte gern die falschen Dinge zur falschen Zeit, als brächte ihm diese Rebellion etwas Selbstachtung ein.
Jean stand auf und schritt mit ihren hochhackigen Schuhen über den Teppich. Sie öffnete ein Fenster und atmete die frische Gartenluft ein. Dieses stärkende Tonikum brachte sie auf das Königshaus.
»Außerdem ist dein Dad Beamter. Was würde die Königin sagen, wenn sie wüßte, was er treibt?«
»Welche Königin?« murmelte ich vor mich hin. Laut sagte ich: »Ich beantworte keine rhetorischen Fragen«, stand auf und ging zur Tür. Als ich vor ihr stand, merkte ich, wie sehr ich zitterte. Aber Jean lächelte mich an, als hätte ich jedem Wort von ihr zugestimmt.
»Sei ein guter Junge, Flerzchen. Gib mir einen Kuß. Was ist das für eine Schweinerei auf deiner Jacke?«
Wochenlang hörte ich nichts mehr von Gin und Tonic, und in dieser Zeit lief ich keineswegs zu Dad, um ihn auf Knien anzuflehen, er solle diese Buddha-Geschichten sein lassen, nur weil sie Jean nicht gefielen.
Was Eva anging, so kam kein Wort mehr von ihr. Ich dachte schon, die ganze Affäre sei vorbei, und das fand ich schade, weil unser Leben wieder in seinen langweiligen Alltagstrott verfiel. Aber eines Abends klingelte das Telefon, und Mum nahm den Hörer ab. Sie legte sofort wieder auf. Dad stand in der Tür seines Zimmers. »Wer war dran?« fragte er. »Niemand«, sagte Mum mit einem trotzigen Blick in den Augen.
Kapitel vier
Es gab andere deutliche Hinweise darauf, daß Eva aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken sein würde. Sie war da, wenn Dad in sich gekehrt und gedankenverloren aussah - wie eigentlich jeden Abend; sie war da, wenn Mum und Dad sich zusammen »Panorama« ansahen; sie war da, wenn er sich eine traurige Platte anhörte oder jemand das Wort Liebe erwähnte. Und keiner war glücklich. Ich war mir nicht sicher, ob Dad sich heimlich mit Eva traf. Wie sollte das möglich sein? Für Pendler war das Leben bis auf die Minute durchreguliert; wenn Züge Verspätung hatten oder ausfielen, gab es immer sofort eine andere Verbindung. Am Abend fehlte jeglicher Vorwand: niemand ging aus; es gab nichts, wo man hätte hingehen können, und privat traf Dad sich nie mit einem Kollegen aus dem Büro. Nach der Arbeit flüchteten alle, auch Dad, aus London, so schnell sie konnten. Ungefähr einmal im Jahr gingen Mum und Dad ins Kino, und Dad schlief jedesmal dabei ein; ein einziges Mal waren sie ins Theater gegangen, um sich die »West Side Story« anzusehen. Außer Onkel Ted kannten wir niemanden, der in Kneipen ging. Kneipen waren nur etwas für die unteren Schichten; dort, wo wir lebten, konnte man eher die Zahn- und Schamlosen hören, wie sie, begleitet von ramponierten Klavieren sangen: »Komm, komm, komm und mach mir schöne Augen, beim alten Bull and Bush.« Dad konnte Eva also höchstens während seiner Mittagspause treffen, und vielleicht wartete sie vor dem Büro auf ihn, um Arm in Arm mit ihm im St. James Park zum Essen zu gehen, so wie Mum und Dad es damals getan hatten, als sie verliebt waren. Ich hatte keine Ahnung, ob Dad und Eva miteinander schliefen. Aber in seiner Aktentasche entdeckte ich ein Buch mit Bildern von chinesischen Sexstellungen, darunter die »Verschlungenen Mandarinenten« und die komplizierte »Bonsai-Kiefer«, die »Katz-und-Maus-teilen-sich-ein-Loch«-Stellung und die entzückende »Dunkle-Zikade-klammert-sich-an-einen-Ast«.
Ob sich die dunkle Zikade nun an einen Ast klammerte oder nicht, jedenfalls war das Leben sehr nervenaufreibend. Zumindest oberflächlich verlief es jedoch in geraden Bahnen, bis ich eines Sonntagmorgens, etwa zwei Monate nachdem ich Gin und Tonic in ihrem Haus besucht hatte, die Tür öffnete, und Onkel Ted vor mir stand. Ohne zu lächeln oder ihn zu begrüßen, sah ich ihn an, und er schaute verlegen zurück, bis er schließlich hervorstieß: »Ach, Junge, ich komm nur auf einen Sprung vorbei, um einen Blick auf den Garten zu werfen. Ich will bloß wissen, ob die Rosen auch aufgegangen sind.«
»Der ganze Garten steht in Blüte.«
Ted ging ins Haus, sang: »There’ll be blue birds over the white cliffs of
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