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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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nicht Wiedersehen? Du magst doch Eva. Und Charlie wartet zu Hause. Er will unbedingt die eine oder andere Sache mit dir diskutieren.«
    Eva lächelt vom Fahrersitz herüber. »Küßchen, Küßchen«, sagte sie. Ich wußte, daß man mich reinlegen wollte. Erwachsene sind so doof, sie wollen einfach nicht glauben, daß man sie durchschaut, egal was sie machen.
    Ich ging zu Helen und sagte ihr, daß irgendeine wichtige Sache laufen würde. Was, wüßte ich noch nicht genau, aber ich müßte jetzt gehen. Sie küßte mich und fuhr los. Den ganzen Tag lang war ich mir sehr gefaßt vorgekommen, obwohl ich wußte, daß sich für Jamila alles in ihrem Leben geändert hatte; und wenn ich die Blicke in den beiden Gesichtern neben mir im Auto richtig deutete, sollte mir jetzt, am selben Tag noch, das gleiche bevorstehen. Ohne zu wissen warum, winkte ich Helens Wagen hinterher. Ich sollte sie nie Wiedersehen. Sie gefiel mir, wir begannen gerade, öfters miteinander auszugehen, dann passierte diese Geschichte, und ich sah sie nie wieder.
    Ich saß hinter Eva und Dad im Wagen und beobachtete, wie ihre Hände ständig die Berührung des anderen suchten; man brauchte kein Genie sein, um zu merken, daß die beiden ein Paar waren. Hier vor mir saßen zwei Verliebte, daran bestand kein Zweifel. Eva fuhr, und Dad konnte den Blick nicht von ihrem Gesicht lassen.
    Eva, diese Frau, die ich kaum kannte, hatte mir meinen Vater gestohlen. Aber was hielt ich eigentlich von ihr? Ich hatte sie mir noch nicht einmal richtig angesehen.
    Dieser neue Mensch in meinem Leben war keine Frau, die auf einem Paßfoto besonders attraktiv aussehen würde. Sie war nicht schön, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne; ihren Zügen fehlte die erlesene Proportion, und ihr Gesicht war ein bißchen pausbäckig. Aber sie wirkte anziehend, weil ihr rundes Gesicht unter dem glatten, blondgefärbten Haar, das ihr über die Stirn und in die Augen fiel, so offen war. Dieses Gesicht war pausenlos in Bewegung, und darin lag der Grund für ihre Schönheit. Es spiegelte noch das leiseste Gefühl wider und verbarg so gut wie nichts. Manchmal wurde sie richtig kindisch, und man wußte dann, wie sie mit acht, siebzehn oder fünfundzwanzig ausgesehen hatte. Die verschiedenen Altersstufen ihres Lebens schienen zeitgleich zu existieren, als könnte sie sich, ganz wie es ihrer Stimmung entsprach, zwischen den Jahren bewegen. Sie hatte Gott sei Dank nichts von diesem abgeklärten Erwachsensein. Trotzdem konnte sie ganz schön ernst und direkt sein und von Verletzungen und Schmerz reden, als wären wir alle so offen und menschlich wie sie und nicht verkorkst, verschwiegen und verschlagen. Als sie mir damals erzählt hatte, wie einsam und verlassen sie sich fühlte, wenn sie mit ihrem Mann zusammen war, da lief es mir bei diesem Bekenntnis, »einsam und verlassen«, das mich normaleweise höchstens in die Flucht geschlagen hätte, kalt über den Rücken.
    Wenn sie in Begeisterung geriet, und sie geriet oft in Begeisterung, dann reflektierte ihr Gesicht diese Begeisterung wie ein Spiegel die Strahlen der Sonne. Ihr Leben war nach außen gerichtet, auf ihr Gegenüber, und ihr Gesicht war immer sehenswert, denn sie langweilte sich nur selten. Sie ließ es nicht zu, daß die Welt sie langweilte. Und sie konnte reden, unsere alte Eva, und wie sie reden konnte!
    Wenn sie redete, dann gab es keine halbherzigen Zustimmungen oder Ablehnungen, aber sie zog auch keine große Gefühlsshow ab. Das habe ich nicht gemeint. Sie erzählte von Tatsachen, nannte Fakten, so fest und zerkaubar wie Brot. Sie klärte mich über den Ursprung des Paisley-Musters auf; sie lehrte mich die Geschichte von Notting Hill Gate, erzählte mir, wie Vermeer die Camera obscura benutzte, warum Charles Lambs Schwester ihre Mutter umgebracht hatte, und die Geschichte von Tamla Motown. Ich liebte dieses Zeug; ich schrieb es auf. Eva breitete die Welt vor mir aus. Durch sie wurde mein Interesse am Leben geweckt.
    Dad war von ihr, glaube ich, etwas eingeschüchtert. Eva war klüger als er und zeigte mehr Gefühl. Ihm war noch nie eine so leidenschaftliche Frau begegnet. Das war einer der Gründe, weshalb er Eva begehrte und liebte. Und doch hatte diese Liebe, so überwältigend, so faszinierend sie auch war, große Zerstörung angerichtet.
    Täglich konnte ich sehen, wie die Fundamente unserer Familie untergraben wurden. Täglich ging Dad, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, in sein Schlafzimmer und ließ sich danach

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