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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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nicht mehr blicken. Letztens hatte er Allie und mich aufgefordert, mit ihm zu reden. Wir setzten uns zu ihm und erzählten von der Schule. Ich vermute, daß ihm diese tintenbeklecksten Berichte gefielen, weil er sich, während unsere Stimmen wie Rauch das Zimmer füllten, in den Klangschwaden zurücklehnen und ungestört an Eva denken konnte. Oder wir saßen bei Mum und sahen fern, ertrugen ihre ständige Gereiztheit und ihre selbstmitleidigen Seufzer. Und wie Rohre, die tropfen, undichter werden und auf dem Dachboden bald zu zerplatzen drohen, brachen in diesem Haus unaufhörlich und langsam die Herzen, und keiner sagte ein Wort.
    Für den kleinen Allie war es in mancher Hinsicht noch schlimmer, da er eigentlich über nichts genau Bescheid wußte. Für ihn war das Haus voller Leid und vergeblicher Versuche, so zu tun, als gäbe es dieses Leid nicht. Aber keiner redete mit ihm. Keiner sagte: Mum und Dad sind unglücklich miteinander. Er muß noch verwirrter als jeder von uns gewesen sein; vielleicht schützte ihn aber auch seine Ignoranz davor, zu begreifen, wie schlecht es tatsächlich um uns bestellt war. Bei allem, was während dieser Zeit geschah, waren wir voneinander isoliert.
    Als wir ihr Haus betraten, legte Eva ihre Hand auf meine Schulter und sagte, ich solle zu Charlie raufgehen. »Ich weiß ja, daß du nichts lieber tust. Komm danach aber wieder herunter. Wir müssen einige wichtige Sachen besprechen.«
    Als ich nach oben ging, dachte ich daran, wie sehr ich es haßte, wenn man mir sagte, was ich tun soll. Mach dies, mach das, geh hierhin, geh dahin. Es war klar, daß ich bald von zu Hause abhauen würde. Warum konnten sie den wichtigen Krempel nicht direkt mit mir besprechen? Oben auf dem Treppenabsatz drehte ich mich einen Moment lang um und sah den Grund. Eva und mein Vater gingen Hand in Hand ins vordere Zimmer; und sie befummelten sich untenrum, klammerten sich aneinander, streckten sich die Zungen entgegen und preßten sich schon aneinander, noch ehe sie durch die Tür waren. Ich hörte, wie sie hinter sich abschlossen. Nicht mal eine halbe Stunde konnten sie damit warten.
    Ich steckte meinen Kopf durch Charlies Falltür. Das Zimmer hatte sich seit dem letzten Mal mächtig verändert. Charlies Gedichtbände, seine Zeichnungen, seine Cowboystiefel lagen überall verstreut. Die Schränke und Schubladen standen offen, als wäre er gerade beim Packen. Er nahm Abschied von seinem früheren Ich. Vor allem hatte er es aufgegeben, ein Hippie sein zu wollen. Für Fisch war das bestimmt eine ziemliche Erleichterung, nicht nur in beruflicher Hinsicht, sondern auch, weil er Charlie jetzt seine Soulplatten Vorspielen konnte - Otis Redding und so -, die einzige Musik, die ihm wirklich gefiel. Fisch lag, alle viere von sich gestreckt, im schwarzen Stahlrohrsessel und lachte, während Charlie redete, auf und ab ging, schmollte und mit seinen Haaren spielte. Charlie marschierte, und Fisch griff nach einer alten ausgefransten Jeans, einem Hemd mit weitem Kragen und rosa Blumenmuster oder nach einem Barclay-James-Harvest-Album und warf es aus der Fensterluke nach unten in den Garten.
    »Es ist einfach lächerlich, wie man an seinen Job kommt«, sagte Charlie. »Sollte man nicht das Zufallsprinzip bestimmen lassen? Man müßte jemanden auf der Straße ansprechen und ihm sagen, daß er jetzt für einen Monat der Herausgeber der »Times« ist. Oder daß er Richter, Polizeikommissar oder Toilettenmann ist. Es muß willkürlich geschehen. Zwischen der Ernennung zu diesem Job und der Person darf es außer seiner völligen Untauglichkeit für diese Position keinerlei Verbindung geben. Stimmst du mir zu?«
    »Gilt das ohne Ausnahme?« fragte Fisch lustlos.
    »Nein. Für bestimmte Menschen sollte es unmöglich sein, wichtige Positionen einzunehmen. Zum Beispiel diejenigen, die Bussen hinterherlaufen und dabei die Hände in die Taschen stecken, damit das Kleingeld nicht herausfällt. Dazu gehören auch die Menschen, die von der Sonne gebräunt sind, aber auf den Oberarmen noch weiße Streifen haben. Sie gehören von gehobenen Positionen ausgeschlossen und sollten in besonderen Lagern bestraft werden.«
    Und dann, obwohl ich dachte, daß er mich gar nicht bemerkt hatte, sagte Charlie plötzlich zu mir: »Ich bin gleich unten«, als hätte ich ihn wissen lassen, daß sein Taxi wartete.
    Ich muß verletzt ausgesehen haben, denn Charlie lenkte ein.
    »Hey, Kleiner«, sagte er. »Komm schon her. Wir können auch ebensogut Kumpel

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