Der Buddha aus der Vorstadt
nichts vorzumachen, Karim.«
»Ist Allie da?«
Sie drehte sich um. »Allie ist ein guter Junge, aber er putzt sich ziemlich heraus, findest du nicht?«
»Yeah, er war immer schon ein bißchen überkandidelt.« »Er zieht sich dreimal am Tag um. Wie ein Mädchen.« »Hm, wirklich mädchenhaft.«
»Ich glaube, er zupft sich sogar die Augenbrauen«, sagte sie entschlossen.
»Er ist ganz schön behaart, Tante Jean. Deswegen nennen sie ihn in der Schule ja auch Kokosnuß.«
»Männer müssen behaart sein, Karim. Haarigkeit ist ein typischen Kennzeichen für den wahren Mann.«
»Du scheinst seit einiger Zeit den großen Detektiv zu spielen, Tante Jean. Hast du schon daran gedacht, dich bei der Polizei zu bewerben?« sagte ich, als ich nach oben ging. Der gute alte Allie, dachte ich.
Ich hatte mich nie viel um Allie gekümmert, und meistens vergaß ich sogar, daß ich einen Bruder hatte. Ich kannte ihn kaum; und ich verachtete ihn, weil er so brav war und herumschlich und Geschichten über mich erzählte. Ich hielt mich auf Distanz zu ihm, damit der Rest der Familie nicht herausbekam, was ich vorhatte. Aber jetzt war ich zur Abwechslung mal dankbar dafür, daß er da war, sowohl für die Gesellschaft, die er Mum leistete, als auch für das Ärgernis, das er für Tante Jean darstellte.
Vielleicht bin ich nicht besonders mitfühlend oder so, und ich schätze, ich bin ein ziemlicher Schweinehund, dem eigentlich alle Menschen egal sind, aber, verdammt noch mal, ich haßte es, diese Stufen zu Mum hochzugehen, besonders weil Jean unten stehenblieb und jeden meiner Schritte beobachtete. Wahrscheinlich hatte sie nichts Besseres zu tun.
»Wenn du hier unten wärst«, sagte sie, »würde ich dir für deine Frechheit eine scheuern.«
»Was für eine Frechheit?«
»Diese verdammte Frechheit, die in dir steckt. Diese Unverschämtheit.«
»Halt doch die Klappe«, sagte ich.
»Karim!« Sie erstickte fast an ihrer Wut. »Karim!«
»Hau ab, Tante Jean«, sagte ich.
»Buddhisten-Schwein«, antwortete sie. »Buddhisten, alle wie ihr da seid.«
Ich ging in Mums Zimmer. Ich konnte hören, wie Tante Jean über mich schimpfte, aber ich konnte kein Wort mehr verstehen.
Eine ganze Wand von Tante Jeans Gästezimmer, in dem Mum in ihrem rosafarbenen Nachthemd lag, mit ungekämmten Haaren, die Beine angezogen, wurde von einer Spiegelschrankwand eingenommen, die mit alten, aber glitzernden Abendkleidern aus den parfümierten Tagen vollgestopft war. Neben dem Bett standen Teds Golfschläger und mehrere Paar staubiger Golfschuhe. Sie hatten ihretwegen nichts fortgeräumt. Allie hatte mir am Telefon erzählt, daß Ted sie fütterte, daß er ins Zimmer kam und sagte: »Hier, Marge, probier doch mal diesen leckeren Fisch mit Brot und Butter.« Aber meistens endete es damit, daß er ihn selbst aß.
Ich zögerte, meine Mutter zu küssen, weil ich Angst hatte, daß ihre Schwäche und ihr Unglück mich irgendwie anstecken könnten. Natürlich dachte ich nicht einen Moment lang daran, daß meine Lebendigkeit und meine Stimmung sie etwas aufmuntern könnten.
Wir saßen eine Weile einfach nur da und sagten wenig, bis ich ihr schließlich eine Beschreibung von Changez’ Specials gab, von seinem Feldbett und dem bizarren Schauspiel eines Mannes, der sich in seine eigene Frau verliebt. Aber Mum verlor bald das Interesse. Wenn fremdes Unglück sie nicht aufheitern konnte, würde sie nichts aufheitern können. Ihr Verstand war zu Glas geworden, und alles Leben glitt an seiner bloßen Form ab. Ich bat sie, mich zu zeichnen.
»Nein, Karim, heute nicht«, seufzte sie.
Wieder und wieder redete ich auf sie ein: Zeichne mich, zeichne mich, zeichne mich, Mummy! Ich haderte mit ihr. Ich war richtig wütend. Ich wollte nicht, daß sie sich mit der Lebensphilosophie abfand, die sie an die Schattenenden der Welt kettete. Für Mum war das Leben im Grunde eine Hölle. Man wurde blind, man wurde vergewaltigt, man vergaß ihren Geburtstag, Nixon wurde gewählt, ihr Mann verließ sie mit einer Blonden aus Beckenham, und dann wurde man alt, man konnte nicht mehr gehen, und man starb. Nichts Gutes konnte einem hier auf Erden widerfahren. Obwohl diese Ansicht ebensogut zu einem gewissen Gleichmut führen könnte, hatte sie in Mums Fall nur Selbstmitleid bewirkt. Daher war ich überrascht, als sie mich dann doch zeichnete, als ihre Hand sich wieder leicht über das Papier bewegte und in ihren Augen endlich doch so etwas wie Interesse aufleuchtete. Ich saß so still,
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