Der Buddha aus der Vorstadt
Meditationskursen in Südlondon. Abends weigerte er sich zu reden - ein Schweigegelübde -, und einmal die Woche fastete er einen Tag lang. Abgesehen davon, daß ihm in seinem Leben nichts besonders wichtig schien, war er glücklich, oder doch glücklicher als früher. Wenigstens erkannte er dies jetzt und wich dieser Einsicht nicht länger aus. Dad sagte ihm, er solle diesen Zustand »erforschen«.
Dad sagte Ted auch, daß es Jahre dauern könne, bevor sich ein Sinn hinter allem zeige, und daß er inzwischen in der Gegenwart leben und den Himmel, die Bäume, die Blumen und den Geschmack guten Essens genießen solle, und daß er vielleicht ein paar Dinge in Evas Haus reparieren könne - zum Beispiel Dads Nachttischlampe und das Tonband -, wenn er etwas praktische Therapie nötig habe. Ted sagte, er würde fischen gehen, wenn er Therapie brauche. Alles, was zu technisch sei, könnte ihn wieder in die alten Bahnen zurückkatapultieren. »Wenn ich an mich denke«, sagte Ted, »dann sehe ich mich in einer Hängematte liegen und schaukeln, nur schaukeln.«
Teds Hängemattengehabe, sein Übertritt zum Ted-Buddhismus, wie Dad es nannte, brachte Tante Jean zur Weißglut. Sie wollte ihm die schaukelnde Hängematte abschneiden. »Sie ist wütend auf ihn«, sagte Mum genüßlich. Der Streit zwischen Ted und Jean schien für sie das einzige Vergnügen in ihrem Leben zu sein, und wer sollte es ihr verdenken? Jean tobte und diskutierte und versuchte es sogar mit Zärtlichkeiten, um Ted wieder zum gewöhnlichen, aber wenigstens arbeitsamen Zustand des Unglücks zu bekehren. Schließlich hatten sie jetzt kein Einkommen mehr. Früher hatte Ted immer stolz verkündet: »Ich habe zehn Männer unter mir«, und jetzt hatte er keinen einzigen mehr. Unter ihm war nur noch dünne Luft und der Abgrund des Bankrotts. Aber Ted lächelte nur und sagte: »Dies ist meine letzte Chance, glücklich zu werden. Die kann ich mir nicht verpatzen, Jeanie.« Einmal schaffte es Tante Jean, bis zu verletzten Gefühlen vorzustoßen, als sie die zahlreichen Tugenden ihres ehemaligen, konservativen Freiers aufzählte. Aber Ted schlug zurück und sagte (eines Abends während seines Silentiums): »Der Junge hat wenigstens früh genug kapiert, was er von dir zu halten hatte.«
Als ich ins Haus kam, sang Ted gerade ein Sauflied und drängte mich praktisch in einen Kleiderschrank, um mit mir über sein Lieblingsthema zu reden - über Dad. »Wie geht’s deinem Vater?« fragte er flüsternd. »Ist er glücklich?« Mit träumerischem Blick fuhr er fort, als spräche er von einem homerischen Abenteuer: »Er macht einfach Schluß und zieht mit dieser piekfeinen Frau ab. Es ist unglaublich. Ich mache ihm ja keinen Vorwurf. Ich beneide ihn! Schließlich will jeder so sein. Sich einfach umdrehen und loslaufen. Aber wer macht das schon? Niemand - nur dein Dad. Ich würde ihn gern sehen und ausführlich mit ihm darüber sprechen. Aber es verstößt gegen das Gesetz in diesem Haus. Man darf ihn nicht besuchen, darf nicht einmal über ihn reden.« Als Tante Jean aus dem Wohnzimmer in den Flur kam, hob Ted einen Finger an die Lippen. »Sag kein Wort.« - »Worüber, Onkel Ted?« - »Sag einfach kein verdammtes Wort!«
Sogar heute wirkte Tante Jean sehr aufrecht und sah in ihren hochhackigen Schuhen und dem dunkelblauen Kleid großartig aus. Sie hatte sich eine Diamantenbrosche in Gestalt eines springenden Fisches angesteckt, und ihre Fingernägel waren kleine, vollkommene, glänzende Muscheln. Sie leuchtete, als wäre sie frisch angemalt worden; und man hatte Angst, etwas zu verwischen, wenn man sie berührte. Sie schien für eine dieser Cocktailpartys angezogen zu sein, auf denen ihre Lippen Wangen und Gläser, Zigaretten und Servietten, Kekse und Cocktailsticks verschmierten, bis es keinen Fußbreit mehr im Zimmer gab, der nicht wie rot übermalt aussah. Aber in diesem Haus der Halbtoten gab es keine Partys mehr; es war nur noch eine alte Bude mit einem verwandelten und einem gebrochenen Menschen darin. Jean war zäh, und sie trank gern; sie würde noch eine Weile durchhalten. Aber was würde geschehen, wenn sie begriff, daß das Urteil, so wie die Dinge standen, auf lebenslänglich lautete, und nicht nur auf zeitweilige Aussetzung des wahren Vergnügens?
»Du bist es also«, sagte Tante Jean.
»Yeah, glaub schon.«
»Wo bist du gewesen?«
»Im College. Deshalb wohn ich auch bei den anderen. Um näher beim College zu sein.«
»Sicher doch, aber mir brauchst du
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