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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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langsam wurde mir klar, daß um mich herum das verrückteste Publikum war, das ich in diesem Schuppen je gesehen hatte. Im Hintergrund hingen die üblichen Langhaarigen und ausgeflippten Typen herum, mit ihren Samthosen und dreckigen Jeans, den Patchwork-Stiefeln und Schaffellmänteln, und diskutierten über Bus-Tickets nach Fez, über Jobs und Barclay James Harvest. Das war die übliche Kundschaft - die angetörnten Bewohner der Kellerwohnungen und besetzten Häuser.
    Doch vor der Bühne saßen ungefähr dreißig Kids in schwarzen, zerfetzten Klamotten, vollgespickt mit Sicherheitsnadeln. Sie trugen die Haare schwarzgefärbt und kurzgeschnitten, verdammt kurzgeschnitten, oder lang und stachlig, so daß sie ihnen wie eine Handvoll Nägel nach allen Seiten vom Kopf abstanden. Ein Hurrikan hätte diesen Frisuren nichts anhaben können. Die Mädchen trugen Plastik und Leder, hautenge Röcke, Strumpfhosen mit Löchern, weißes Make-up und dazu knallroten Lippenstift. Sie fletschten die Zähne und fauchten die Typen an, die ihnen zu nahe kamen. Drei Gestalten, die aussahen wie überspannte südamerikanische Transvestiten, die Gesichter voller Rouge und Lippenstift, gehörten offenbar auch zu diesen Kids; die eine von ihnen trug an einer Schnur ein gebrauchtes Tampon um den Hals. Charlie wurde unruhig. Wehleidig preßte er sich die Arme gegen den Körper, während wir diese Außerirdischen anstarrten, die sich mit einer derart wilden Hingabe und Eigenwilligkeit anzogen, wie wir es nie für möglich gehalten hätten. Langsam wurde mir klar, was sich hinter dem Wort London verbarg, und mit welch ungeheurem Aufschrei der Wut wir es hier zu tun hatten. Jedenfalls wurden wir ganz schön in unsere Schranken verwiesen. »Was soll'n der Scheiß?« sagte Charlie. Er schnaubte verächtlich, klang aber auch etwas atemlos; in seiner Stimme schwang ein ehrfürchtiger Ton mit.
    »Bleib cool, Charlie«, antwortete ich und stierte weiter ins Publikum.
    »Cool bleiben? Ich bin völlig fertig. Schließlich hat mir gerade erst ein Fußballer in die Eier getreten «
    »Immerhin war's ein berühmter Fußballer.«
    »Und sieh dir die Bühne an«, meinte Charlie. »Was für’n Mist ist das denn? Warum hast du mich überhaupt hierhergeschleppt?«
    »Willst du lieber gehen?«
    »Yeah. Die machen mich krank.«
    »Okay«, sagte ich. »Stütz dich auf meine Schulter, und ich bring dich raus. Gefällt mir auch nicht besonders hier. Ist mir zu abgefahren.«
    »Viel zu abgefahren.«
    »Ist einfach zuviel.«
    »Yeah.«
    Aber bevor wir uns rühren konnten, schlurfte die Band auf die Bühne, junge Kids, ähnlich gestylt wie ihr Publikum. Schlagartig begannen die Fans zu toben. Sie sprangen in die Luft, warfen sich der Länge nach auf den Boden, schrien und spuckten die Band an, bis dem Leadsänger, einem dürren, kleinen Kerl mit karottengelben Haaren, der Spei chel nur so heruntertroff. Er schien damit gerechnet zu haben und schimpfte seinerseits auf das Publikum ein, spuckte es an, rutschte einmal sogar aus, landete auf dem Arsch, soff einen Pint und latschte dann wieder über die Bühne, als wäre er in seinem Wohnzimmer. Er wollte kein Star sein; er würde er selbst sein, egal, wie abgeschmackt und banal er dabei wirken mochte. Der kleine Typ wollte ein Anti-Star sein, und ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Für Charlie mußte es noch schlimmer sein.
    »So ein Idiot«, sagte Charlie.
    »Yeah.«
    »Und ich wette, er kann nicht einmal spielen. Sieh dir diese Instrumente an. Wo haben sie die her? Vom Trödel vielleicht?«
    »Genau«, sagte ich.
    »Völlig unprofessionell.«
    Die Chaosgruppe fing an, und die Musik war ätzend. Sie klang aggressiver als alles, was ich seit den frühen Who gehört hatte. Nichts da mit love andpeace, keine Schlagzeugsolos oder weiche Synthesizerklänge. Keine Spur von »Progressivem« oder »Experimentellem« bei diesen bleichen, bösartigen Ghettokids mit Igelschnitt. Sie jaulten uns ihre Texte über Haß und Anarchie ins Ohr. Kein Song dauerte länger als drei Minuten, und in jeder Pause verfluchte uns der Karottentyp und wünschte uns die Pest an den Hals. Er schien Charlie und mich direkt anzuschreien. Ich spürte, wie Charlie sich neben mir verkrampfte. Als ich hörte, wie der Sänger uns anbrüllte, wußte ich, daß London uns umbringen würde: »Verpißt euch, ihr stinkigen alten Hippies! Ihr Scheißer! Ihr dreckigen Furz-Ärsche! Zur Hölle mit euch!«
    Bis zum Ende des Auftritts konnte ich Charlie nicht

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