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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Das da sind kluge, intelligente Leute, sie sind logisches Denken gewöhnt, nicht irgendwelche Behauptungen, Fakten, nicht Hirngespinste!«
    Dad warf den Kopf in den Nacken und lachte. Er spürte die Schärfe ihrer Kritik gar nicht. »Eva, verstehst du denn die einfachsten Dinge nicht? Sie müssen ihre Rationalität, ihr ewiges Nachdenken und Sich-um-alles-Sorgen ablegen. Sie leiden an einer Kontroll-Manie! Erst wenn wir das Leben einfach zulassen, wenn wir es unserer angeborenen Weisheit gestatten, sich frei zu entfalten, werden wir leben!«
    Er nahm den Nachtisch, eilte zurück ins Zimmer und hielt eine entsprechende Rede. Evas Wut steigerte sich noch, doch dann begann eine hitzige Diskussion über die Bedeutung der Intuition für die revolutionäre Phase der Wissenschaft. Die Party war ein voller Erfolg.
    Etwa zur gleichen Zeit entdeckte Dad, wie sehr er Geselligkeit mochte. Und da er nicht wußte, wie wichtig dieser oder jener Mensch war, ob er für den BBC, die TLS oder das BFI arbeitete, behandelte er alle auf gleich gönnerhafte Art.
    Eines Abends, als ich von der Probe nach Hause kam - ich hatte mir noch einen Drink mit Terry gegönnt -, zog sich Charlie gerade im Schlafzimmer von Eva und Dad an und stolzierte vor einem mannshohen Spiegel auf und ab. Ich erkannte ihn zuerst gar nicht wieder. Schließlich hatte ich ihn in seinem neuen Outfit bisher nur auf Fotos gesehen. Sein Haar war schwarz gefärbt und stand steif vom Kopf ab. Er trug, Innenseite nach außen, ein aufgeschlitztes T-Shirt, das er sich mit einem roten Hakenkreuz bemalt hatte. Seine schwarzen Hosen wurden von Sicherheitsnadeln, Büroklammern und Nähnadeln zusammengehalten. Darüber trug er einen schwarzen Macintosh; um seine Hüfte hatte er sich fünf Gürtel geschlungen, und über seinem Hintern hing noch eine Art graues Latztuch. Außerdem trug dieser Pisser eine von meinen grünen Westen. Ich hörte Eva weinen.
    »Was ist los?« fragte ich.
    »Halt dich da raus«, fuhr Charlie mich an.
    »Bitte, Charlie«, flehte Eva ihn an. »Bitte mach das Hakenkreuz ab. Alles andere ist mir egal.«
    »Wenn das so ist, laß ich es dran.«
    »Charlie -«
    »Ich hab deine verdammte Nörgelei schon immer gehaßt.« »Ich nörgle nicht, ich habe Mitleid.«
    »Gut. Ich werde nicht mehr hierher zurückkommen, Eva.
    Du bist in letzter Zeit sowieso eine ziemliche Nervensäge. Ist wohl dein Alter. Oder machen dich die Wechseljahre so unausstehlich?«
    Auf dem Boden neben Charlie lag ein Haufen Klamotten, aus dem er sich Jacken, Regenmäntel und Hemden fischte, um sie dann zur Seite zu werfen, weil sie ihm nicht gefielen. Schließlich zog er sich die schwarzen Lidstriche nach und verließ die Wohnung, ohne einem von uns einen Blick zu gönnen. Eva schrie ihm hinterher: »Denk an die Menschen, die in Konzentrationslagern krepiert sind! Und erwarte ja nicht, daß ich heute abend dabei bin, du Schwein! Ich werd dir nie wieder helfen, Charlie. Das kannst du vergessen!«
    Wie vereinbart, ging ich am Abend zu Charlies Auftritt in einen Klub nach Soho. Ich nahm Eva mit. Es war nicht besonders schwierig, sie zu überreden, und mich hätten keine zehn Pferde davon abgehalten, mir anzusehen, was meinen Schulfreund in ein - wie der »Daily Express« es nannte - »Phänomen« verwandelt hatte. Ich sorgte sogar dafür, daß wir eine Stunde vor Beginn da waren, damit wir uns alles in Ruhe ansehen konnten, doch schon jetzt reichte die Schlange bereits einmal um den Block. Eva und ich rückten, umgeben von Kids, langsam vorwärts. Eva war aufgeregt und verwirrt; die Menge machte ihr angst. »Wie hat Charlie das nur geschafft?« fragte sie immer wieder. »Das werden wir bald herausfinden«, sagte ich. »Ob ihre Mütter wissen, daß sie hier sind?« fragte sie. »Weiß Charlie eigentlich, was er tut, Karim?« Einige der Kids waren kaum zwölf Jahre alt; die meisten höchstens siebzehn. Sie waren wie Charlie angezogen, überwiegend in Schwarz. Manche hatten orangefarbene oder blaue Strähnen im Haar und sahen aus wie Kakadus. Sie rempelten und boxten herum, gaben sich Zungen-Doppeldecker, spuckten Passanten an und rotzten sich gegenseitig ins Gesicht, dort, im kalten Regen des versifften London, und die Polizei sah gleichmütig zu. Ich trug als Zugeständnis an die New Wave ein schwarzes Hemd und schwarze Jeans, dazu weiße Socken und blaue Wildlederschuhe, aber mir war klar, daß meine Haare ziemlich langweilig aussahen. Ich blieb nicht der einzige: In teuren, lässigen Kleidern der

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