Der Buddha aus der Vorstadt
gingen schweigend zur Bushaltestelle. Es regnete, und es war dunkel und kalt.
»Hat Pyke dir eine Rolle angeboten?« fragte er schließlich. »Ja.«
»Lügner!«
Ich sagte nichts. »Lügner!« wiederholte er. Ich wußte, er war so wütend, daß er sich nicht mehr beherrschen konnte, und ich konnte ihm seinen Groll nicht verdenken. »Es kann einfach nicht wahr sein, es kann nicht!« sagte er.
Plötzlich schrie ich in den nächtlichen Himmel. »Ja, ja, ja, es ist wahr!« Und jetzt war das Leben spannend geworden; jetzt klirrte und vibrierte es vor lauter neuen Möglichkeiten und Aussichten. »Ja, ja, verdammt noch mal, ja!«
Als ich am nächsten Tag ins Theater kam, hatte jemand einen dreckigen roten Teppich von der Garderobentür bis zu dem Platz ausgebreitet, an dem ich mich üblicherweise umzog. »Kann ich Ihnen aus den Kleidern helfen?« fragte ein Schauspieler, und »Können Sie mir ein Autogramm geben?« ein anderer. Man übergab mir Narzissen, Rosen und ein Lehrbuch über die Schauspielkunst (für Anfänger).
Der SPT-Freak, Boyd, zog sich die Hose aus, winkte mir mit seinem Penis zu und meinte: »Wäre ich nicht ein Weißer und aus der Mittelklasse, dann hätte ich jetzt eine Rolle bei Pyke. Aber Talent allein reicht wohl in dieser Zeit nicht aus, wenn man es zu etwas bringen will. Wahrscheinlich machen im England der Siebziger nur die Minderheiten Karriere.«
Einige Tage lang war ich zu feige, Shadwell etwas von Pykes Angebot zu erzählen und ihm zu gestehen, daß ich den Moliere nicht mitmachen würde. Ich war glücklich und wollte mir die Vorfreude nicht durch einen Streit mit ihm vermiesen lassen. Shitwell begann folglich das nächste Stück vorzubereiten, als ob ich darin mitspielen würde, bis er eines Tages, kurz bevor der Vorhang zum »Jungte Books« aufgehen sollte, in die Garderobe kam.
»Jeremy«, sagte ich, »ich glaube, ich muß dir etwas sagen.« Wir gingen in die Gemeinschaftstoilette, dem einzigen abgeschlossenen Raum hinter der Bühne, und ich teilte ihm die Neuigkeiten mit. Shadwell nickte und sagte freundlich: »Du bist undankbar, Karim. Du solltest dich nicht einfach verpissen, es ist nicht richtig. Hier mögen dich alle, weißt du?«
»Bitte, versteh doch, Jeremy Pyke ist ein wichtiger Mann. Sehr wichtig. Du mußt doch zugeben, daß es im Leben eines Menschen einen Punkt gibt, an dem er -« Shitwells Stimme hob sich plötzlich auf Probenniveau, und er lief aus der Toilette in die Garderobe. Das Stück sollte jeden Moment beginnen, und die Zuschauer saßen bereits auf ihren Plätzen. Sie konnten jede Silbe hören. Ich lief in meinem Lendenschurz hinter ihm her und kam mir ziemlich lächerlich vor.
»Was für einen Punkt denn, du abgefuckter Arsch?« sagte er. »Dir fehlt doch jede Erfahrung, um mit Pyke fertigzuwerden. Der macht dich in drei Tagen zu Hackfleisch. Du hast keinen Schimmer, was für eine harte Nuß dieser Pyke ist.
Er ist charmant, zugegeben. Alle interessanten Menschen sind charmant. Aber er wird dich aufs Kreuz legen, paß nur auf!«
»Warum sollte er jemanden so Unwichtigen wie mich aufs Kreuz legen?« fragte ich schüchtern. Boyd grinste und flüsterte Terry ins Ohr: »Eben.« Der achtete nicht auf ihn, nickte Shitwell aber beipflichtend zu.
»Weil es ihm Spaß macht, du Idiot! So verhalten sich diese Typen! Sie tun so, als ob sie Demokraten wären, dabei sind sie lauter kleine Lenins -«
Das konnte Terry nicht durchgehen lassen. Er funkelte Shadwell an und sagte: »Schön wär’s ja!«
Shadwell aber ließ sich nicht mehr bremsen, wenn er erst mal in Fahrt war: »Das sind elitäre Kulturfaschisten, die glauben, sie wüßten alles besser. Verklemmte Paranoiker sind das!«
Einige aus dem Ensemble lachten hinter vorgehaltener Hand, wie es Schulkinder tun, wenn einer aus der Klasse einen Anschiß vom Lehrer bekommt. Ich schritt über meinen roten Teppich auf die Bühne.
»Es ist mir egal, was du sagst. Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
»Ha!« rief er. »Das werden wir ja sehen - du kleiner Parvenü!«
Kapitel elf
Es war Frühling. Ich verabschiedete mich von Bagheera, Baloo und den anderen (Shadwell konnte mir den Buckel runterrutschen) und ließ mich am letzten Abend nicht mal auf der Party blicken. Einige Zeit später stand ich dann in einem sauberen, strahlend hellen Probenraum mit poliertem Holzfußboden (damit wir barfuß herumlaufen konnten) in einer Kirche am Fluß, nicht weit von der Chelsea Bridge. In Pykes Gruppe waren wir sechs
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