Der Buddha aus der Vorstadt
meinte Pyke. »Onkel? Tanten? Sie würden etwas Abwechslung ins Stück bringen. Ich würde wetten, daß sie interessant sind.«
Ich dachte einige Augenblicke nach.
»Irgendeine Idee?« fragte er.
»Ich glaube, ich hab, was du suchst«, sagte ich. »Ausgezeichnet. Ich wußte, daß du für dieses Stück genau der Richtige bist.«
Nachdem ich mit Dad und Eva gefrühstückt hatte, fuhr ich mit dem Fahrrad über den Fluß, am Oval, dem Kricketstadion vorbei, zum Laden von Jeeta und Anwar. Ich dachte nämlich an Anwar als Vorbild für meine Rolle. Ich wollte sehen, wie er sich seit der Ankunft von verändert hatte, denn Changez war für Anwar - der damit gerechnet hatte, eine Art Lebenstransfiision von einem Sohn zu bekommen - eine solche Enttäuschung, daß er ein alter Mann geworden war. Sein natürlicher Verfall war durch diesen frischen Lebenssaft, der sich als gar nicht so erfrischend erwiesen hatte, nicht verzögert, sondern beschleunigt worden.
Als ich ankam, erhob sich Jeeta von ihrem Platz hinter der Kasse und umarmte mich. Mir fiel auf, wie schmuddlig und düster das Kaufhaus Paradies jetzt aussah: Die Farbe blätterte von den Wänden, die Regale waren dreckig, das Linoleum auf dem Boden wellte sich und platzte auf. Einige Glühbirnen schienen kaputt zu sein, so daß der Laden im Halbdunkel lag. Selbst das Gemüse in den alten Apfelsinenkisten vor dem Geschäft sah ziemlich verloren aus, und Jeeta war es leid geworden, die rassistischen Graffiti abzuschrubben, die doch jedesmal sofort wieder an den Wänden auftauchten. Andere Läden in dieser Gegend, und nicht nur hier, eigentlich überall in London, wurden zügig modernisiert, wenn ehrgeizige Pakistani oder Bengali sie aufkauften. Meistens kamen mehrere Brüder nach London; jeder besorgte sich zwei Jobs, tagsüber eine Stelle in einem Büro und abends Arbeit im Restaurant, und dann kauften sie sich einen Laden, setzten einen Bruder als Manager ein und ließen seine Frau an der Kasse arbeiten. Dann kauften sie sich einen neuen Laden und machten dasselbe wieder, bis sie sich eine Kette aufgebaut hatten. Das Geld floß dann in Strömen. Doch der Laden von Anwar und Jeeta hatte sich seit Jahren nicht verändert. Das Geschäft war flau, und alles schien falsch zu laufen, doch ich wollte nicht darüber nachdenken. Das Theater war mir zu wichtig.
Ich erzählte Jeeta vom Stück und was ich vorhatte - mich einfach nur bei ihnen aufhalten -, wobei mir klar war, daß sie kaum begriff, worauf ich hinauswollte und daß sie sich auch nicht besonders dafür interessierte.
»Es ist mir egal, was du tust«, sagte sie, »aber wenn du Tag für Tag in den Laden kommen willst, dann mußt du deinen Onkel davon abhalten, mit seinem Stock draußen rumzulaufen.« »Warum, Tante Jeeta?«
»Einige Schlägertypen waren hier, Karim. Sie haben einen Schweinekopf durch das Fenster geworfen, als ich hier an der Kasse saß.«
Davon hatte mir Jamila nichts erzählt.
»Bist du verletzt worden?«
»Kleine Schnittwunden, Karim. Hier und da etwas Blut.« »Was hat die Polizei gesagt?«
»Sie meinten, es seien die Besitzer eines anderen Ladens gewesen. Konkurrenzgeschichten.«
»Scheißdreck.«
»Fluch nicht, Junge.«
»Tschuldigung, Tante.«
»Dein Onkel ist seitdem ziemlich seltsam. Er zieht jeden Tag mit seinem Stock durch die Straßen und schreit die weißen Jungs an: >Schlag mich doch, Weißer, wenn du dich traust!<« Sie wurde rot vor Scham und Verlegenheit. »Red mit ihm«, sagte sie und drückte meine Hand.
Onkel Anwar war oben in seinem Zimmer. Er trug einen Pyjama und schien in den letzten Monaten regelrecht geschrumpft zu sein: sein Körper war abgemagert, bloß sein Kopf hatte die gleiche Größe behalten. Er stak obendrauf wie ein Globus auf einem Wanderstab.
»Hallo, du Mistkerl«, begrüßte er mich. »Wo bist du gewesen?«
»Ich komm jetzt jeden Tag zu euch.«
Er knurrte zustimmend und wandte sich wieder dem Fernseher zu. Er hatte mich gern um sich, aber er redete selten mit mir und fragte mich nie nach dem, was ich tat. Seit einigen Wochen ging er regelmäßig in die Moschee, und manchmal begleitete ich ihn.
Die Moschee, ein verfallenes, nach Bhuna Gost stinkendes Reihenhaus, lag ganz in der Nähe. Der Boden war übersät mit Zwiebelschalen, und hinter einem Tisch saß der Mullah Qamar-Uddin, umgeben von ledergebundenen Büchern über den Islam und einem roten Telefon, und strich sich unablässig über den Bart, der ihm bis auf den Gürtel fiel. Anwar beschwerte
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