Der Buddha aus der Vorstadt
Blick sah er sich in der Gruppe um und verkündete, er könne Vorhersagen, wer von uns mit wem schlafen würde. Eindringlich musterte er jeden einzelnen und sagte dann: »Ich glaube, ich weiß, welche Wege das Vergnügen sich suchen wird. Ich schreibe meine Voraussagen auf, und nach der letzten Vorstellung des Stücks werde ich sie euch vorlesen. Okay?«
In der zweiten Woche schien die Sonne, und wir öffneten die Türen. Ich trug ein offenes Hawaiihemd, dessen Zipfel ich manchmal über meinem Bauch verknotete. (Im Ernst: Als eine der Inspizientinnen mich so sah, blieb ihr fast die Luft weg.) Einer nach dem anderen setzte sich auf den »elektrischen Stuhl«, wie ihn Pyke nannte, die Gruppe im Halbkreis um ihn versammelt. Jeder mußte die Geschichte seines Lebens erzählen. »Konzentriert euch auf das, was in euren Augen eure Stellung in der Gesellschaft bestimmt.« Zwar überspielte ich meine Verlegenheit angesichts eines solchen Ausmaßes an kalifornischer Selbstdarstellung auf typisch englische Art, nämlich mit Skepsis und Mißtrauen, doch ich fand die Lebensgeschichten - diese Aufzählung von Elend und Widersprüchen, Verwirrung und gelegentlichem Glück - seltsam rührend. Ich kicherte die ganze Zeit, als Louise von ihrer Arbeit in einem Massagesalon in San Francisco erzählte, wo die Frauen die Männer nicht direkt anmachten, weil sie Angst hatten, es könnten Bullen darunter sein. Sie mußten also sagen: »Gibt es noch einen Muskel, Sir, den ich Ihnen entspannen dürfte?« In diesem Salon entdeckte Louise den Sozialismus für sich, denn hier, in einem Wald von Schwänzen und einem Teich von Samen, »begriff ich bald, daß mir nichts Menschliches fremd war«, wie sie es formulierte.
Richard sagte, er wolle nur mit Schwarzen vögeln und beschrieb die Klubs, die er auf der Suche nach ihnen abklapperte. Und zum Entzücken Pykes und zu meiner Überraschung erzählte Eleanor, wie sie mit einer Performancekünstlerin gearbeitet hatte, die sie dazu überredete, ein Stückchen Papier mit Gedichten, zum Beispiel »Kuhzähne wie Schneeglöckchen rupfen das Knoblauchgras«, aus ihrer Vagina zu ziehen, bevor sie die Texte vorlas. Die Performancekünstlerin schob sich inzwischen ein Mikrofon in ihre Vagina und spielte dem Publikum die gurgelnden Geräusche ihrer Möse vor. Das reichte mir. Ich war scharf auf Eleanor. Terry konnte mir erst mal gestohlen bleiben. Alle zwei, drei Tage rief ich Jamila an, um ihr einen vollständigen Bericht von den Kuhzähnen wie Schneeglöckchen, von Pykes Penis, San Francisco, Hawaii und den automatischen Toastern zu geben. Jeder ermutigte mich: Eva war beeindruckt gewesen, als sie das von Pyke hörte; und Dad war glücklich, weil ich arbeitete. Der einzige Mensch, von dem ich sicher wußte, daß er die Flamme meiner Begeisterung auspinkeln würde, war Jamila.
Also erklärte ich ihr den Sinn der Spiele. »Pyke ist ein gerissener Typ«, erzählte ich ihr. »Da wir uns vor den anderen bloßgestellt haben, sind wir verletzbar geworden und müssen uns jetzt aufeinander verlassen können. Wir sind uns als Gruppe unglaublich nahe gekommen.«
»Pah. Ihr seid euch nicht nahe gekommen. Das ist doch nur ein Trick, nur eine Technik.«
»Ich dachte, du würdest an Teamwork und all das glauben. Dieses kommunistische Zeug.«
»Soll ich dir mal erzählen, Karim, was hier im Laden passiert ist, seit du in der Kirche fremde Menschen umarmst?« »Wieso, was denn?«
»Keine Chance, Karim, ich werde dir nichts erzählen. Eigentlich bist du ein ganz schön egoistischer Typ, du interessierst dich für niemanden, nur für dich selbst.«
»Wieso?«
»Geh zurück und spiel wieder einen Baum.« Und sie legte auf.
Wir hörten bald auf, uns morgens im Probenraum zu treffen; statt dessen ging jeder seinen eigenen Weg, um die spezifischen Eigenarten von Menschen auf verschiedenen Stufen der sozialen Leiter zu studieren. Zum Schluß würde Louise Lawrence diese Figuren im selben Stück unterbringen müssen. Nachmittags improvisierten wir, probierten unsere Rollen aus und begannen, erste Szenen zu entwerfen. Zuerst dachte ich, ich würde mir Charlie als Vorbild für meine Rolle wählen, aber Pyke riet mir sofort davon ab. »Wir brauchen jemanden aus deinem eigenen Milieu«, sagte er. »Einen Schwarzen.«
»Ach ja?«
Ich kannte keinen Schwarzen. Ich war zwar mit einem Nigerianer zur Schule gegangen, hatte aber keine Ahnung, wo der heute lebte. »Wen meinst du?« fragte ich.
»Wie steht’s mit deiner Familie?«
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