Der buddhistische Mönch
weniger tuntig als zuvor: »Pi-Da, das ist mein Chef, Detective Jitpleecheep.«
Pi-Da gehört einer anderen Kategorie katoy an. Er ist um die vierzig, hat ein großes, rundes Gesicht, einen Bauch und feiste Beine und war wohl nie schön, aber seine weibliche Seele sehnt sich offenbar schon sein ganzes Leben lang nach äußerem Ausdruck. Lek hat mir erzählt, dass Pi-Da in für katoy- Barstypischen selbstironischen Kabarettnummern auftritt. Er gilt als »weise Tante« und meidet tuntiges Gehabe. Seine Stimme ist von Natur aus hoch und feminin. Bei der Begrüßung mustert er mich mit wachem Blick. Nach einer Weile ergreift er meine Hand, um mich zu einem Tisch zu geleiten, wo wir uns setzen. Ich spüre, dass er tief in mein Herz blicken kann. Er erzittert, macht große Augen, sieht zuerst Lek an, dann mich. Lek lässt die Schultern hängen, als er sagt: »Tut mir leid, aber das schaffe ich nicht. Dieser Geist ist zu mächtig für mich.« Er versucht, mich wegzuschieben. Lek und ich sind verwirrt. Irgendwann meint Lek: »Sie enttäuschen mich.«
Einen schlimmeren Vorwurf gibt es kaum. Pi-Da sinkt unter Leks erbarmungslosem Blick in sich zusammen. Als Lek sich angewidert abwendet, meint Pi-Da: »Du weißt nicht, was du da verlangst.«
»Sie können doch angeblich ohne Furcht hinüber auf die andere Seite schauen«, erklärt Lek nun eher bekümmert als verärgert. Plötzlich geht es um die existenzielle Frage des katoy: Werde ich ernst genommen? Darf Pi-Da sich überhaupt moordu nennen, wenn er nicht mit schwierigen Geistern fertig wird? Oder ist er einfach nur eine ältliche Tunte?
Nun verändert sich Pi-Das Gesichtsausdruck. Er wirkt nicht mehr wie eine etwas übergewichtige ältere Tante, sondern eher wie ein Mann, dessen Reife in Zweifel gezogen wurde. »Gehen wir nach oben«, sagt er mit grimmigem Blick. Und an mich gewandt fügt er hinzu: »Ich will nichts dafür.«
»Oben«, das sind einige Räume, die zur Lagerung von Alkohol und Snacks genutzt werden. Pi-Da macht den Boden frei, damit wir Platz nehmen können. Dann ergreift er wieder meine Hand und schließt die Augen. Nach etwa einer Minute öffnet er sie, doch er scheint mich nicht wahrzunehmen. Ich beobachte mit Faszination und Abscheu, wie er sich erhebt, die Hände gegen eine Wand legt und sich, das Hinterteil nach hinten gereckt, vorbeugt. »Sonchai, nimm mich von hinten, wenn du möchtest. Und peitsch mich aus.« Das ist Damrongs Stimme, kein Zweifel. »Du bist ein phantastischer Liebhaber, Detective; du erinnerst mich an einen angreifenden Elefanten.« Ein hysterisches Gackern entringt sich Pi-Das Brust.
Pi-Da schüttelt heftig den Kopf, als wollte er sich von etwas befreien. Als er sich wieder uns zuwendet, ist seine Haut fahl, und er wirkt erschöpft. »Mehr kann ich nicht tun – ihre Energie ist einfach zu rau und intensiv. Sie bringt mich um, wenn ich ihr das Steuer überlasse. Sie ahnen nicht, worauf Sie sich da eingelassen haben. Das ist Khmer-Magie, kein Partyspielchen.« Er verschwindet ohne ein weiteres Wort nach unten. Lek starrt mich mit großen Augen an.
»Ja«, murmle ich, »es stimmt. Ich hatte eine Affäre mit ihr.« Dann haste ich – immer zwei Stufen auf einmal nehmend – die Treppe hinunter, bis ich draußen bin in der Anonymität der Bangkoker Nacht.
26
Es gibt jede Menge bankrotte Staaten, genügend Kleptokratien, ein paar gescheiterte Systeme – und Kambodscha. Nach dem Nixon-Holocaust: Pol Pot, großzügig unterstützt von der CIA. Fast zwei Millionen Menschen verlieren ihr Leben in einem Bürgerkrieg, der so ganz anders ist als alle anderen. Jeder erinnert sich an das Klopfen mitten in der Nacht, an die Verschleppung von Verwandten, üblicherweise durch einen Teenager mit Maschinengewehr, daran, dass man sie später als Leichen wiedersah, oft grässlich verstümmelt. Dann wären da noch Tuoi Sleng, wo die Folterungen stattfanden, und die Schädelberge von Choeung Ek. Bei den Kambodschanern kaschiert eine generelle Apathie die tiefgehenden psychischen Verletzungen. Viele wirken wie Schlafwandler; willkürliche Schlägereien sind an der Tagesordnung; die Wirtschaft stützt sich auf die vier großen Gs – »Girls, Gewehre, Glücksspiel und Ganja«; Korruption ist die Grundlage der allgemeinen Arbeitsethik, Kindesmissbrauch ein Nationalsport. Wer originell sein möchte, verwendet die Landeswährung, aber letztlich mag man amerikanische Dollars lieber. Natürlich zieht die Hauptstadt Phnom Penh internationale
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