Der Bund der Drachenlanze - 07 Michael Williams
Wind
im hohen Gras.
Die Zwerge erzählten noch schlimmere Geschichten, überlegte er. Wie Hobgoblins gelernt hatten, den Schrei eines
Menschenkinds nachzuahmen, um weichherzige Opfer zu
einem einsamen, tückischen Platz zu locken, wo sie dann
im dichten Nebel…
Nebel! Sturm stand senkrecht in den Steigbügeln. Während er vor sich hingesponnen hatte, hatte die Stute auf
dem Grasweg angehalten und genüßlich den Pfad vor ihnen vertilgt.
Jetzt erhoben sich unnatürlich blasse Nebelarme wie
Geister überall aus der Ebene. Die Sonne war nur noch
schwach zu sehen. Die Luft war weiß, weiter entfernt, wo
der aufsteigende Nebel jedes Sonnenlicht verdeckte, nur
noch grau.
Sturm lehnte sich nach vorn und blinzelte umher, die
Hand am Schwert. Er schnalzte mit der Zunge, damit die
verängstigte Luin weiterging. Vorsichtig setzte sie einen
Fuß vor den anderen, als würde sie durch einen Sumpf laufen.
Dann erhob sich aus dem Nichts Musik, ein altes Hornstück in Moll. Sturm zog sein Schwert und fuhr im Sattel
herum, aber überall war nur Musik und Nebel und sonst
nichts. Sofort kam er sich dumm vor, als ob er sein Schwert
gezogen hätte, um gegen die Luft zu kämpfen.
»Komm raus, Vertumnus!« murmelte Sturm, dessen
Stimme sich vor Ärger hob. »Komm raus aus deinem Nebel
und Quatsch und laß es uns beilegen. Schwert gegen
Schwert, Ritter gegen Ritter, Mann gegen Mann!«
Aber die Musik ging unaufhörlich weiter. Die Melodie
veränderte sich, wiederholte sich und war immer zu erkennen und doch nie dieselbe. Der Nebel begann, zur Musik zu tanzen, bis er in einem irren, wilden Kreistanz herumwirbelte. Jetzt konnte Sturm nicht einmal den Boden
sehen. Es war, als würde Luin durch flaches, unbekanntes
Wasser waten.
Vorsichtig stieg der Junge ab und ging mit leichten, zaghaften Schritten neben seinem Pferd her. Er konnte das frische Gras nicht mehr fühlen und fragte sich allmählich, ob
sich auch der Boden in Nebel aufgelöst hatte.
»Die Burg… ist Burg Vingaard links? Der Sonnenuntergang…«, murmelte Sturm vor sich hin. Jetzt waren Anhaltspunkte nutzlos, falls er sich in dieser teuflisch verwirrenden Musik überhaupt noch an sie erinnern konnte. Die
Straße veränderte sich Schritt um Schritt, und er haßte sich
dafür, daß er sich jetzt schon verirrt hatte.
Fast eine Stunde lang stapfte Sturm im Nebel umher.
Sein Weg war hoffnungslos verworren, und allmählich war
er nicht mehr befremdet, sondern voller Furcht.
Ganz plötzlich hörte die Musik auf. Die sich anschließende Stille war wieder reglos und feindselig, als würde
die Ebene selbst schweigen, weil sie eine furchtbare Untat
erwartete. Sturm merkte, wie das Schwert in seiner Hand
zitterte.
Ein paar Minuten später setzte er seine Wanderung noch
zögerlicher fort. Der Schrei einer Eule in einer vom Blitz
getroffenen Eiche klang wie ein Ruf aus dem Land der Toten, und einmal oder zweimal kam es dem Jungen so vor,
als würde in der Nähe ein Baby schreien. Diese Geräusche
brachten ihn an den Rand der Panik. Zweimal setzte er den
Fuß in den Steigbügel, aber beide Male riß er sich zusammen und besann sich eines Besseren.
»Das fehlte noch!« flüsterte er verstimmt. »Ein böser
Sturz vom Pferd in dichtem Nebel! Schlag dir doch den
Schädel ein, auf daß du dein letztes bißchen Verstand los
bist!«
Als er schließlich befürchtete, daß er schon auf dem
Rückweg zum Turm war, beschloß Sturm, anzuhalten und
zu warten, bis sich der Nebel hob. »Denn würde Derek
Kronenhüter nicht feixen«, fragte er Luin, »wenn ich einfach vor dem Südtor aus dem Nebel laufen würde, und das
außer mir vor Entsetzen?«
Er biß die Zähne aufeinander. »Bei Huma!« schwor er.
»Lieber sterbe ich, als daß ich diesem Schuft einen solchen
Triumph gönne!«
Luin schob dem Jungen ihre lange Schnauze über die
Schulter und knabberte gedankenverloren an seinen Haaren.
Gemeinsam warteten die beiden, die alte Stute und ihr
junger Reiter. Sie dösten vor sich hin, um nur hin und wieder beim Aufflattern von Wachteln oder dem Zirpen von
Eichhörnchen in den fernen Bäumen hochzufahren.
Schließlich kam der Abend, und das Land um sie herum
beruhigte sich.Sturm schreckte aus dem Schlaf auf. Einen
Augenblick lang dachte er, er wäre wieder im Turm des
Oberklerikers, sicher in den Knappenquartieren. Aber er
steckte in Rüstung und Mantel und lag auf freiem Feld. Er
drehte sich um und zwinkerte traumverloren, doch ihm fiel
sofort ein, wo er sich
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