Der Bund der Drachenlanze - 07 Michael Williams
befand.
»Luin!« flüsterte er. Das Pferd hatte sich nur ein Stück
von ihm entfernt. Durch die Dunkelheit des frühen Morgens hörte er es schnauben und dahintrotten. Mühsam
richtete Sturm sich auf, denn der Brustharnisch seines Vaters war sperrig und schwer auszubalancieren. Nach einem
letzten Taumeln stand der Junge gerade und marschierte in
die Richtung des Geräuschs.
Plötzlich gab es ein leichtes Rascheln im Wind, ein Geräusch, an das er sich Jahre später in den Ruinen von Xak
Tsaroth sofort erinnern würde. Zuerst dachte er, es wäre
ein Sturm, der durch die Blätter rauschte, aber die Luft war
unbewegt. Sturm dachte an Vertumnus, an den ungewöhnlichen Wetterumschwung…
Er geriet ins Stolpern, als ein heißer Windhauch über ihn
hinwegstrich, der nach Schwefel, Asche und Zorn roch.
Zuerst war es, als würde die Ebene brennen, als stünde der
Nebel ringsumher in Flammen. Er hustete heftig.
Sturm drehte sich um sich selbst, während er verzweifelt
nach Luin pfiff. Ruhig tauchte die Stute aus dem Nebel und
den Rauchschwaden auf und blieb nur stehen, um faul
nach einem niedrigen Kleebüschel zu schnappen. Er sprang
neben sie und stieg auf…
Und stand noch in dem einen Steigbügel, als Luin im
durchdringenden Gestank etwas witterte, etwas viel Entsetzlicheres. Auf der Stelle trat sie wie hysterisch aus und
galoppierte in den Nebel.
Sturm klammerte sich an den Zügeln fest. Sein Fuß hatte
sich im Steigbügel verfangen. Vergeblich versuchte er, sich
im Sattel zurechtzusetzen, doch Luins wilde, kopflose
Flucht durch den Nebel trug die beiden durch unwegsames
Gelände, und er konnte sich gerade auf ihr halten. Hinter
ihm ließ das raschelnde Geräusch nach, um dann noch viel
lauter wieder loszugehen. So etwas hatte der Junge noch
nie gehört. Er dachte an Zyklone, an den heftigen Wind aus
Aferia, der durch die Bergpässe pfeift und alles dem Erdboden gleichmacht, wenn er in die Ebene rast. Luin rannte
schneller, bis ihr braunes Fell vor Schweiß naß war, aber
immer noch kam der gewaltige Lärm näher, wurde lauter,
schneller und drängender.
Sturm wollte nach seinem Schwert greifen, um sich dem
zu stellen, was Vertumnus ihm hinterhergeschickt hatte –
was auch immer es sein mochte. Aber Luin jagte weiter wie
der Wind über die Solamnische Ebene. Wenn er die Hand
von den Zügeln nahm, würde er riskieren, sich den Hals zu
brechen oder auf dem harten Untergrund zu Tode geschleift zu werden. Also hielt er sich fest und schwang
einmal, zweimal, ein drittes Mal sein Bein über den Sattel,
doch die Geschwindigkeit des Pferdes und das Gewicht der
Rüstung ließen ihn weiter baumeln und kämpfen. Der Nebel hinter ihm begann bedrohlich blutrot zu glühen, und
inmitten des Lichts schoß eine riesige, dunkle Gestalt mit
ledrigen Fledermausflügeln auf sie zu, während die Luft
immer heißer wurde, bis die Hitze unerträglich war.
Da plötzlich kehrte unerwartet die Musik zurück. Der
Nebel schloß sich um sie, und das Licht verschwand und
nahm Getöse und Hitze mit sich. Hustend, keuchend und
halb im Sattel hängend, sah Sturm zu, wie sich der Nebel
auf tat und die bedrohliche, ledrige Gestalt seines Verfolgers verschluckte. Die Hitze und das Gebrüll ebbten ab.
Und die Musik echote von den Felsen um sich herum.
Diesmal eine andere Melodie – ein schneller, witziger Tanz,
der so mitreißend war, daß die Nachtigallen, die in den
dunklen Nischen der Eichen und Vallenholzbäume versteckt saßen, trillernd zu antworten begannen. Luin fiel
langsam in Trab, dann in Schritt, und der ausgepumpte,
erschütterte Sturm konnte sich endlich auf ihren Rücken
setzen.
»Bei Branchala, das war vielleicht was!« murmelte der
junge Mann. Er sah sich um, als der Nebel zerstob und wie
Regen in den harten, kargen Boden sank. Über ihm tauchten die Sterne des solamnischen Nachthimmels auf – erst
die Monde, dann der helle Sirion und Reorx. Nach ihnen
geschätzt war er meilenweit südlich von seinem Ausgangspunkt.
»Was… was war das, Luin?« fragte er. »Und… wo sind wir?«
Der Nebel hatte sich jetzt aufgelöst, so daß Sturm weit
über die flache Ebene sehen konnte. Weiter westlich lag ein
Dorf, dessen schwache Lichter in die klare Winternacht
blinzelten. Es war eine einladende Vorstellung – ein warmes Dach für die Zeit bis Sonnenaufgang.
Aber Sturm kannte die Bauern und wußte, welch beständigen Haß sie gegen den Orden hegten. Welches Dorf es
auch war, wie freundlich die Lichter auch
Weitere Kostenlose Bücher