Der Bund der Drachenlanze - 07 Michael Williams
Derek Kronenhüter war nach dem schiefen Gesang rot angelaufen und atemlos, aber er hatte sich breit
vor seinem Rivalen aufgebaut, obwohl sein Lederharnisch
rissig und schmutzig und sein Gesicht ungefähr in vergleichbarem Zustand war. Hinter ihm schüttelten sich die
beiden blassen, hämischen Jeoffreys mit ihren Fledermausgesichtern vor Lachen.
Sturm kam ein verrückter Gedanke. Wenn er Derek Kronenhüter wirklich seinen Wunsch erfüllen und von dieser
seltsamen, verwünschten Reise nie zurückkehren würde,
warum sollte er dann nicht so ausziehen, wie sein Vater in
jener legendären Nacht, als Schloß Feuerklinge gefallen
war, seine trauernde Garnison verlassen hatte? Warum
sollte er sie eigentlich nicht lachend verlassen?
Mit einem Mal stimmte Sturm wild in den Gesang mit
ein. »Laß seinen letzten Atemzug
Ganz sanft in der Luft sich wiegen,
Laß über Rabenträumen ihn fliegen,
Wo Tod bringt nur des Falken Flug.
Dann steig er auf zu Humas Schild
Am Himmel, ungeteilt und wild.« Lauter und lauter sang
Sturm, und brachte so erst den einen Jeoffrey, dann den
anderen, dann Derek, den Anstifter, zum Verstummen.
Verwirrt und eingeschüchtert wichen die Knappen vom
Stall zurück, während Sturm ihnen folgte und noch lauter
sang.
Gründlich durcheinander drehten sich die Jeoffreys um
und rannten davon, bis nur noch Derek rückwärts durch
den Hof schritt. Sturm ging auf ihn zu und sang noch lauter, bis in den Turmfenstern die Lichter angingen, weil ungehaltene Ritter von Dereks schiefgegangenem Streich aus
dem Schlaf gerissen worden waren.
Schneller und schneller wich der hochnäsige Knappe zurück, dem jetzt das Lachen im Hals steckenblieb, als er in
die harten Augen dieses offensichtlich irren Südländers
blickte. Derek Kronenhüter war so auf seinen Rückzug
versessen, daß er den Gärtnerjungen Jack übersah, der hinter ihm stehengeblieben war, um sich von der unangenehmen Aufgabe zu erholen, eine Schubkarre voll Mist von
den Ställen wegzuschieben.
Es war wirklich schade, daß er ihn übersah.
Derek kippte hintenüber in die Schubkarre, doch sein
Fall wurde von deren noch recht frischen Inhalt abgebremst. Während er aus der Schubkarre kroch, stolperte
und hinfiel, brachte Sturm die Totenklage mit lauter, überschnappender Stimme zu Ende.
Stephan und Gunthar standen oberhalb der Jungen auf
den Zinnen, blickten hinunter und beobachteten den Verlauf der ungewöhnlichen Morgenmusik.
»Ein echter Feuerklinge, der da unten«, sagte Fürst
Gunthar leise zu seinem alten Freund.
»Nicht nur Feuerklinge«, räumte Stephan ein. »Aber, so
die Götter wollen, feurig genug.«Sturm lächelte wieder, als
er sein Pferd sattelte. Ihm war wild, unruhig und seltsam
frei zumute.
Derek war rot und wütend geworden und davongelaufen, diesmal sehr vorsichtig, und hatte sein arrogantes Gehabe im verschneiten Hof zurückgelassen. Auf den Stufen
zum Rittersporn war ein verärgerter Fürst Bonifaz aufgetaucht, der den dreckigen Knappen an einem sauberen
Ärmel festhielt.
»Wie kannst du den Morgen mit solchem Unfug vertun«,
schimpfte Bonifaz, »wenn ich bis Sonnenaufgang noch
hundert Dinge für dich zu tun habe!« Sie trollten sich über
den Hof, wobei der Ritter seinen Knappen schalt und ihn
mit Fragen über Fragen überhäufte. Der Gärtner Jack
verbarg ein zahnlückiges Lächeln und schob die Schubkarre hinter ihnen her. Leise summte er Sturms Lied vor sich
hin.
Sturm grinste, als er die Prozession abziehen sah. Zweifellos würde Derek ein Bad nehmen müssen und dann in
seine mit Teppichen ausgelegten Gemächer geschickt werden, wo er wütend und gedemütigt üben konnte, was er
am besten gesagt oder getan hätte, als der Emporkömmling
aus Solace sich brüllend vor Lachen gegen ihn wandte.
»Nur einen Tag, Luin«, flüsterte Sturm der Stute zu, die
freundlich in die langsam dämmrig werdende Dunkelheit
des Stalls schnaubte. »Einen Tag für Derek, und wenn ich
erst weit fort bin, ist völlig offen, was man sich über den
Vorfall heute morgen erzählen wird.«
Die Silhouette der Festung tauchte langsam im blaßgrauen Licht auf. Die Lampen im Turm wirkten jetzt schwach,
und über ihnen jagten Fledermäuse und leuchtende
Vespertile in die Sicherheit ihrer Höhlen und der Heuböden des Tieflands. Tief unten in der Ebene zeichnete sich
der Horizont im Nebel ab.
Bis Sturm Luin schließlich in den Hof und zum Südtor
führte, war die Sonne schon aufgegangen. Dort stand Fürst
Stephan, um ihn zu
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