Der Bund der Drachenlanze - 09 Ellen Porath
dreizehn Fuß große Ettin sich selbst an – keine leichte Au fg abe fü r ein Wesen mit so kurzen, fetten Hälsen. Die wäßrigen
Augen des Ettins waren so winzig wie Schweinsäuglein
und im Augenblick vor Zorn blutunterlaufen. Jede seiner
schinkengroßen Pranken, die vom Kopf der entsprechenden Körperseite gesteuert wurde, hielt eine Dornenkeule.
Der Streit entwickelte sich in einem Mischmasch aus Orkisch, Goblinisch und der Sprache der Riesen.
»Schluß damit«, brüllte Res, der rechte Kopf. »Res geht
jetzt heim!«
»Zauberer sagt nein! Frau Soldat suchen«, beharrte Lacua, der linke Kopf.
»Lange unterwegs. Viel zu lange. Keine Frau Soldat.
Weg, weg.« Das war womöglich die längste Rede, die Res
je gehalten hatte. Deshalb schnappte er nach Luft, runzelte
die Stirn und versuchte sich zu erinnern, womit er angefangen hatte. »Was Res sagen?« fragte er Lacua.
Der linke Kopf dachte angestrengt nach. Lacuas schweineartige Schnauze verzog sich vor Konzentration. »Denk,
denk«, grübelte er. Die Köpfe des fl eischfressenden Ungeheuers wurden bereits kahl, doch beide hatten einen strähnigen, fettigen Pferdeschwanz. Der von Lacua schwang hin
und her, als dieser sein Gehirn durchforstete. Nutzlos. ResLacua zuckte mit den Schultern und lief weiter. Weder Res
noch Lacua konnten das Thema einer neuen Meinungsverschiedenheit lange genug behalten, um in ernsthaften Streit
zu geraten.
Janusz hatte Lacua vorsichtigerweise mit einem magischen Gegenstand ausgerüstet, über den der Zauberer von
seiner neuen Heimat aus mit ihm in Verbindung bleiben
konnte. Denn Janusz hielt sich mittlerweile im Eisreich auf,
einen halben Kontinent südlich von Haven. Der Ettin hatte
dem Magier schon früher gute Dienste geleistet – was mehr
von seiner Treue und Sturheit zeugte als von seinen geistigen Fähigkeiten. Der linke Kopf, Lacua, der knapp an die
Intelligenz eines Kaninchens heranreichte, war dem rechten
Kopf, Res, unendlich voraus. Deshalb hatte Janusz, der bei
dieser Mission die Reibereien zwischen den beiden vorhergesehen hatte, Lacua zum Anführer der Reise und zum
Schiedsrichter bei allen Zwistigkeiten ernannt.
Das hätte Res bestimmt geärgert, wenn er imstande gewesen wäre, sich darauf zu konzentrieren.
Plötzlich fl itzte ein Stinktier aus einem hohlen Baumstumpf, und die rechte Hand des Ettins sauste durch die
Dunkelheit und schlug das Tier mit der Keule nieder. Ohne
auf die stinkende Wolke zu achten, verschlang der rechte
Kopf das Stinktier mit drei Bissen, während Lacua, dem
das Wasser im Mund zusammenlief, zusah.
Der Stinktierduft, der sich zu dem Mantel aus Dreck gese l lte, der die Haut des Ettins überzog, konnte den durchdringenden Gestank von Res-Lacua kaum noch verschlimmern. »Sauberkeit« gehörte – wie die meisten Wörter
mit mehr als zwei Silben – nicht zum Wortschatz des Ettins. Eine ungegerbte Eisbärhaut bedeckte den breiten Leib
des Monsters. Der Pelz war von unzähligen Flöhen besiedelt.
Der Hitze und des Ungeziefers wegen kratzte sich der Ettin ständig. Dazu waren die Dornenkeulen ganz praktisch.
»Heiß«, murmelte Res wieder. »Kein Schnee.«
»Frühling, blöd«, wiederholte Lacua.
»Schnee«, maulte Res. Lacua sah gereizt zu ihm hin. Beide Köpfe sahen von den Moskitostichen aus wie pockenübersät. Res hatte seine aufgekratzt, bis sie bluteten.
»Schnee?« wiederholte Lacua. »Wo?«
»Will Schnee.«
»Hier kein Schnee. Nix.«
»Nach Hause?«
»Bald.«
»Jetzt?«
»Nein. Später. Vielleicht.«
Res-Lacua trampelte durch die lila Blumen und die anderen Steppengewächse nach Norden. Grassamen hingen wie
Fusseln an dem Riesen. Vor dem Ettin standen die hohen
Gräser wie Ausrufezeichen. Hinter ihm war die Vegetation
zwei Schritt breit plattgewalzt.
Seine Nachtsicht erlaubte es dem Ettin, bei Dunkelheit
bis zu neunzig Fuß weit zu sehen, aber Res-Lacuas Sehvermögen hatte bis jetzt noch nicht viel dazu beigetragen,
den gewaltigen Appetit des Monsters zu stillen. Der zweiköp fi ge Troll hatte als Imbiß zwei Ziegen verspeist und bei
Sonnenuntergang eine Kuh, aber das war schon wieder
Stunden her.
Plötzlich blieb Lacua stehen, ließ die Keule sinken und
steckte die linke Hand in seine Tunika.
»Floh?« fragte Res, der mitleidig das Gesicht verzog.
Lacua antwortete nicht. Er zog zwei Gegenstände aus einer Tasche, die Janusz in die Eisbärenhaut hatte einnähen
lassen – einen Edelstein, der einen amethystfarbenen
Schein auf die Zwillingsgesichter über sich warf,
Weitere Kostenlose Bücher