Der Bund der Drachenlanze - 10 Ellen Porath
Wassereimer unter dem Tor ging. Sie füllte die Kelle und nahm einen tiefen Schluck, konzentrierte sich jedoch
die ganze Zeit auf ihre telepathischen Worte.
Xantar, mein Vater hat das Eisvolk versklavt. Kitiara ist schon
seit Tagen verschwunden. Ich weiß nicht, ob sie tot oder lebendig
ist. Ich fürchte, sie macht gemeinsame Sache mit ihm. Ich bin
seine Gefangene, tief in einer Eisspalte. Sie setzte sich hin,
nahm ihren Mantel und deckte sich damit zu. Sie gab sich
den Anschein, als würde sie dösen, doch im Geiste beschrieb sie ihre Fahrt mit dem Schreckenswolfsschlitten
durch das Eisreich. Bist du in der Nähe, Xantar?
Wir haben gerade das Eisreich erreicht, meine Kleine. Ich habe
meine Söhne und Töchter und deren Söhne und Töchter und ein
paar hundert Vettern mitgebracht.
Noch jemand? Sie ließ die Kapuze des Mantels über ihr
Gesicht gleiten, um ihre Mimik zu verbergen.
Den Halbelfen und den Kerner. Sie werden bald da sein.
Sie? Nicht auch du?
Eine lange Pause schloß sich an, bis Kai-lid merkte, wie
sich Angst in ihr regte. Xantar, bist du krank? Ich hab’ dir doch
gesagt, du sollst nicht so weit…
Mach dich nicht lächerlich. Selbst telepathisch war der Ton
der Rieseneule schroff. Natürlich komme ich. Und du mußt
dich darauf vorbereiten, uns zu helfen.
Ich bin hilflos! Sie erzählte, wie die Umgebung aussah und
welches Angebot ihr Janusz gemacht hatte. Er – er fühlt sich
verantwortlich für meinen Tod – das heißt, für Dreenas Tod.
Xantar, Janusz sagt, er haßt Kitiara, weil sie ihm die Eisjuwelen
gestohlen hat, aber auch, weil er ihr die Schuld an Dreenas Tod
gibt. Er sagt, er hätte Dreena geliebt. Ich schwöre, das habe ich
nie gewußt, Xantar. Er hat uns beide die Magie gelehrt, Lida und
mich. Er sagt, die Liebe von Dreenas Zofe würde ihn an die
glücklichen Zeiten der Vergangenheit erinnern.
Die Eule dachte lange nach, bevor sie antwortete. Du
mußt Zeit gewinnen, und du mußt aus diesem Kerker raus, damit du wieder zu Kräften kommst. Füge dich dem Magier, Kailid.
Mich fügen? Kai-lid konnte ihren Abscheu nicht verbergen. Lieber sterbe ich.
Das ist dann deine Entscheidung, Kai-lid. Aber dein Stolz ist
selbstsüchtig. Wir brauchen dich. Du mußt herausfinden, was
der Zauberer über die Eisjuwelen in Erfahrung gebracht hat.
Wenn du seine Zudringlichkeiten ertragen mußt, um das zu tun,
dann muß es eben so sein. Tut mir leid. Aber Janusz will…
Plötzlich nahm sie über die telepathische Verbindung
den Schmerz der Eule wahr. Sie legte ihn als Mitgefühl für
sich aus, und Xantar korrigierte sie nicht. Sag, daß du krank
bist, Kai-lid, krank vom Hungern. Halt den Zauberer hin, so gut
du nur kannst. Wir brauchen einen oder zwei Tage, um das Eisvolk zu finden und einen Angriff zu planen. Ein Unterton gezwungener Fröhlichkeit schlich sich in seine Worte. Ich
weiß, du bist absolut unglaubhaft, wenn du lügst, Kai-lid, aber er
muß dir glauben, also gib dir größte Mühe, so zu tun, als wärst
du mit allem einverstanden.
Aufgewühlt setzte die Zauberin sich hin. Sie streichelte
das Seehundsfell an den Ärmeln ihres Mantels. Schließlich
nickte sie, ohne daran zu denken, daß die Eule sie nicht
sehen konnte.
Kai-lid?
Ich versuche es, Xantar.
Dann… Die Verbindung wurde schwächer, und Kai-lid
spürte, daß die Eule mit den Worten rang. Leb wohl, sagte
Xantar schließlich einfach.
Bis dann, fügte sie hinzu.
Natürlich, sagte Xantar schroff nach einer weiteren Pause. Bis dann, meine Süße.
Dann riß die Verbindung ab. Kai-lid wartete eine Weile,
weil sie sich fragte, ob die Rieseneule wirklich verschwunden war. Dann erhob sie die Stimme und rief den Wänden
zu: »Janusz, bist du da? Ich habe mich entschieden.«
Bereits Augenblicke später stand der Magier am Portal
und starrte mit hoffnungsvollen Augen auf sie herab. Sie
taumelte absichtlich, als sie zu ihm hochblickte. »Ich halte
den Hunger nicht mehr aus, Janusz. Ich bin krank. Ich
werde… ich werde tun, was du willst, aber ich brauche
Zeit, gesund zu werden.«
Als der Zauberer sie betrachtete, fühlte Kai-lid, wie ihr
die Angst über den Rücken lief. Der Magier hätte sie beobachtet, hatte Xantar gesagt. Ob Janusz wußte, daß sie gedanklich gesprochen hatte? Er hatte nie angedeutet, ob Telepathie zu seinen Künsten zählte. Sie zwang sich zu einem
nichtssagenden Gesichtsausdruck, doch ihre Hände zitterten. Um ihre Panik zu vertuschen, spielte sie mit den Beuteln an ihrem Gürtel, in denen
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