Der Bund der Drachenlanze - 10 Ellen Porath
beachtete ihn nicht.
»Lieber schwimme ich durch die Bucht, als auf dem Rücken dieser Tiere zu fliegen«, schluckte Caven. Er ging einen Schritt zurück. »Ich – ich bin nicht dazu geschaffen,
wie ein Vogel zu fliegen, Halbelf.«
»Du meinst, du hast Höhenangst«, sagte Tanis.
Caven fuhr auf. »Angst? Ich doch nicht. Ich würde bloß
lieber… lieber… laufen.«
»Du mußt fliegen, also Schluß jetzt.«
»Ich… kann nicht.«
»Nicht einmal für Kitiara?«
»Für niemanden. Mir wird schwindelig… ich falle runter.
Halbelf, im Zweikampf schlägt mich keiner, auch zu Pferde
nicht, aber oben in der Luft…« Der Gedanke ließ ihn erschauern. »Bei den Göttern, das wage ich nicht!«
»Wir brauchen dich«, gab Tanis zurück. »Du kannst meinen Harnisch nehmen. Bind dich fest, du fällst nicht runter.«
Einer der Vögel, der auf seiner braunen Stirn eine weiße
Blesse hatte, war bei Tanis angelangt und drehte sich um
und bot ihm seinen breiten Rücken an. Der Halbelf holte
das Ledergeschirr aus dem Packsack und legte es der Eule
um Brust und Flügel. Sie klappte ihre Flügel auf und zu,
um den Sitz des Geschirrs zu prüfen.
»Halbelf…«, sagte Caven warnend.
Der andere Vogel, der genauso golden war wie der erste,
aber ohne dessen Blesse, tauchte auf der anderen Seite von
Caven auf. Ernst blickte er auf den Söldner herab, zupfte
dann mit dem Schnabel an seinem Hemd und stupste ihn
zu der wartenden Eule hin. »Nein!« sagte Caven. »Geh
weg!« Er legte eine Hand an sein Schwert und blickte wild
nach beiden Seiten.
Die beiden Eulen sahen einander an, dann zu Tanis hin.
Der Halbelf hörte keine telepathische Stimme, doch er
verstand, was die Vögel vorhatten. Im selben Moment hob
die Eule ohne Harnisch ihren Schnabel und kreischte. Bei
dem Geräusch sträubten sich Tanis die Haare im Nacken.
Caven fuhr herum und wollte sein Schwert ziehen. Da
schnappte sich der Halbelf das Stück Treibholz, das er zuvor weggeworfen hatte, hob es geschwind auf, und als der
Söldner mit dem Schwert ausholte, ließ Tanis ihm das
Holzstück auf den Kopf krachen. Der Kerner sackte augenblicklich in sich zusammen.
Kurz darauf hatte Tanis den bewußtlosen Söldner der
Eule mit der Blesse auf den Rücken gebunden, die vom
Rand des Abgrunds in die schwindelerregende Leere über
dem aufgewühlten Wasser der Eisbergbucht sprang. Die
andere Eule, an deren Hals sich Tanis klammerte, folgte
kurz darauf. Xantar erhob sich von seinem Ausguck und
übernahm die Führung. Nach einmaligem Kreisen wendeten sie sich gen Süden.
Hinter ihnen folgten Hunderte von Rieseneulen, die sich
über den blaugrauen Himmel verteilten. Kai-lid.
Kai-lid, die sich auf dem Boden ihres Eisverlieses zusammengerollt hatte, hob den Kopf und stieß ihre Decke
zurück. Ihr war schwindelig zumute. Seit Tagen hatte sie
nichts mehr gegessen, obwohl der Ettin seit einiger Zeit –
nämlich seit er Kitiara aus dem Gefängnis gezerrt hatte –
regelmäßig auftauchte, um einen Eimer Wasser hinunterzulassen. Die Kriegerin war nicht zurückgekommen, und
der Ettin antwortete nicht, wenn Kai-lid ihn bedrängte, zu
sagen, ob Kitiara in Sicherheit war. Mehrmals war Janusz
selbst erschienen und hatte das Angebot wiederholt, das er
ihr im Lager des Valdans gemacht hatte: daß sie sich ihm
anschließen könnte, um bei ihm besser zaubern zu lernen.
Schließlich war er vor Jahren Li und Dreenas Lehrer gewesen, als diese noch junge Mädchen gewesen waren. Er hatte
hinzugefügt, daß sie selbstverständlich die schwarzen Roben anlegen und seine Geliebte werden müßte. Jedesmal
drehte Kai-lid den Kopf weg, und wenn sie wieder hochschaute, war Janusz verschwunden, doch sein Duft nach
Staub und Gewürzen hing noch in der Luft. Angesichts der
überlegenen Macht ihres Gegners waren ihre Zauberkünste
nutzlos.
Aber eben hatte sie doch wirklich einen Ruf gehört. Halluzinierte sie womöglich schon vor Hunger?
Kai-lid Entenaka. Kannst du mich hören? Gib acht, ich spüre
jemanden, der beobachtet. Sprich nicht laut.
Kai-lids Zittern fiel von ihr ab wie die abgelegte Haut einer Schlange. Sie zwang sich, sich zu konzentrieren, in sich
hineinzuschauen und im kalten Licht der Wände äußerlich
ruhig zu wirken, doch ihr Herz machte einen Sprung.
Xantar, bist du das?
Pause. Kennst du noch jemanden, mit dem du dich auf diese
Weise unterhältst?
Die Zauberin hätte vor Erleichterung fast laut geschluchzt. Sie verbarg ihre Gefühle, indem sie aufstand und
zu dem
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