Der Bund der Illusionisten 1
seines Lebens ein Sklave gewesen, jemand, der in den Augen der Gesellschaft meiner Freundschaft nicht würdig war. Er war als Besitz anderer Leute angesehen worden und hatte keinerlei Möglichkeit gehabt, zu den Gesetzen Zuflucht zu nehmen, die Tyrans als seine besten Errungenschaften betrachtete. Zwanzig Jahre lang hatte er die gleichen Rechte gehabt wie ein Tier: nämlich keine. Ich hätte ihn auspeitschen oder verkaufen können, ich hätte ihn verhungern lassen oder töten können. Ich hätte ihn irgendwelchen Freundinnen von mir fürs Bett geben können.
Wenn in Tyr von Sklaven die Rede war, sprach man nie von Männern oder Frauen, sondern von » sprechenden Werkzeugen«.
Als ich Brand jetzt zusah, fühlte ich mich vor Scham krank. Zwanzig Jahre. Was für eine vortexverdammte Verschwendung. Und dann kam mir ein anderer Gedanke, so offensichtlich und doch so entlarvend zugleich: Wie viel ungenutztes Potenzial mochte wohl in den Tausenden von Sklaven Tyransâ lauernâ¦
Immerhin wirkte Brand jetzt zufrieden, und er hatte sich mit meiner Dienerin Caleh zusammengetan, einem lebhaften Mädchen mit einem gütigen Herzen. Sie war als Sklavin übel misshandelt worden und hatte sich bisher gegenüber Männern zurückhaltend verhalten, bis Brand ihr mit unendlicher Sanftheit und vollständigem Verzicht auf seinen üblichen Zynismus geholfen hatte, all das hinter sich zu lassen.
Manchmal allerdings, wenn er mich ansahâ selbst dann, wenn seine Emotionen verborgen warenâ, konnte ich erkennen, dass seine Begierde nach mir noch genauso stark war wie zuvor.
Am Tag vor dem geplanten Hochzeitstermin des Illusionisten und seiner Kusine unterbrachen zwei Vorfälle die Routine der vorangegangenen Tage. Der erste Vorfall passierte, als ich allein in der Ãbungshalle war, nachdem Garis und ich uns im Schwertkampf geübt hatten. Ich legte meine Waffe auf eine Bank und wischte mir mit einem Tuch den Schweià von Gesicht und Nacken, während ich schon an ein heiÃes Bad und Ruhe dachte und versuchte, den Gedanken an die Zeremonie zu verdrängen, die für den nächsten Tag geplant war.
Als ich hörte, wie hinter mir eine Tür geöffnet wurde, machte ich mir nicht die Mühe, mich umzudrehen, ja ich streckte noch nicht einmal meinen Geist aus, um nachzusehen, wer es warâ bis plötzlich von meinem Cabochon aus ein Schmerz in meine Hand fuhr.
Ich wirbelte herum und sah mich Pinar gegenüber. Sie lächelte, und ihre linke Hand schloss sich fest um den Griff meines Schwertes. » Die erste Regel einer klugen Magoria lautet: das Schwert immer in der Scheide am Gürtel tragen, Shirin.«
Ich fühlte mich wie ein Stück Gebirgseis, das auf dem Markt von Tyr zum Verkauf ausliegt. Sie hätte mich töten können, in diesem Moment, und das wussten wir beide. » Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas hier nötig wäre.«
» Und ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal dadurch schützen muss, dass ich meinen Cabochon an den Schwertgriff von jemand anderem lege.«
» Du hast von mir nichts zu befürchten, Pinar. Ich würde der Frau meines Bruders nie etwas tun.« Zumindest glaubte ich nicht, dass ich ihr etwas tun würde. Nicht, wenn sie sich benahmâ¦
» Ich denke, du kennst die Bedeutung dessen, was ich gerade getan habe. Dein Schwert kann mir nichts tun.«
» Mehr Sorgen bereitet mir die Tatsache, dass ich keinen Schutzzauber wirken kann, um dich von mir fernzuhalten«, sagte ich und riss ihr die Waffe aus der Hand. Sie leistete keinen Widerstand. Ich holte tief Luft, um die Kontrolle wiederzuerlangen, und dann hob ich den Blick und sah ihr ins Gesicht. Ich rechnete damit, in ihren Augen leuchtenden Triumph über das zu finden, was sie getan hatte, aber es war kein Jubel dort. Nichts als schmerzende Angst.
» Ich kann sie nicht dazu bringen zu sehen, was du bist«, flüsterte sie. » Du wirst uns alle zerstören, und ich kann sie nicht dazu bringen, es zu sehen.« Ich glaube, wir hörten beide die unausgesprochenen Worte, die sie hätte hinzufügen können: Und ich kann ihn nicht dazu bringen, mich zu lieben. In diesem Moment war ich von ihrer Tragödie berührt. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und ging weg.
Meine Wut verklang, aber die Frau verabscheute ich nach wie vor.
Ich verlieà den Ãbungsraum im gleichen Moment, als Selwith und seine Frau
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