Der Bund der Illusionisten 1

hatte sein Interesse geweckt, und sein Blick richtete sich jetzt fest auf mein Gesicht.
    Ich sprach weiter. » Aber ich war anders als die anderen Kinder: Ich hatte einen Cabochon, der mir verriet, wer ein Lügner war und wer nicht. Als ich sehr jung war, begriff ich nicht, was das bedeutete, später hingegen schon– und weißt du, was ich dann getan habe? Ich habe diese Fähigkeit absichtlich verschlossen, wenn ich mit meinem Vater zusammen war. Ich habe sie abgestellt. Ich redete mir ein, dass es eine Frage der Höflichkeit wäre, das zu tun. Ich wurde so gut darin, dass es unwillkürlich vonstattenging: Wann immer Gayed mit mir sprach, spürte ich weder Wahrheit noch Falschheit, seine Stimmung nicht und seine Emotionen nicht. Schlaue kleine Ligea, die sich unbedingt geliebt fühlen musste… Göttin, was war ich unreif!
    Brand hat Gayed sofort durchschaut. Er hat mir gegenüber damals Andeutungen gemacht, bis ich unmissverständlich klargestellt habe, dass ich auf solche Dinge nicht reagieren würde.
    Als ich sechzehn war und alle meine Freundinnen an Heirat dachten, hat Gayed Dinge gesagt wie: › Mein kleines Mädchen ist nicht so wie ihre dummen Freundinnen, die an nichts anderes als an hübsche Kleider und Edelsteine und Feiern denken, oder? Sie ist besser. Sie wird wie ihr Vater sein. Sie wird dem Reich dienen.‹ Und ich schluckte das alles. Ich fand es herrlich, dass ich den Platz des Sohnes einnehmen sollte, den er nie gehabt hatte. Ich glaubte, etwas Besonderes zu sein.« Ich fragte mich, ob ich irgendetwas von den Gefühlen verströmte, die ich gerade in mir spürte: Verbitterung, Wut, Schmerz– es war alles da, alles noch in voller Intensität zu fühlen. Beschämt über meinen Mangel an Zurückhaltung versuchte ich, meine Gefühle zu verbergen und weiterzusprechen.
    Â» Weil ich ein Mädchen war, konnte ich kein Legionär werden oder Staatsmann oder Straßenbaumeister oder Handelsherr, also blieb mir nur die halbgeheime intrigante Gruppe der Bruderschaft. Ich war so stolz, dass ich zu ihnen gehen durfte. Rathrox nahm mich unter seine Fittiche. Weil ich besondere Fähigkeiten besaß, leistete ich gute Arbeit.«
    Garis hing längst nicht mehr lässig auf meiner Pritsche, sondern hatte sich aufgesetzt und stützte das Kinn auf die gesunde Hand, während er eingehend lauschte. Seine lohfarbenen Augen blitzten; er hatte Abenteuer schon immer geliebt. Ich erzählte weiter: » Brand hat versucht, mir zu sagen, was ich die ganze Zeit hätte wissen müssen: dass sie über mich lachten. Keiner von uns konnte allerdings die gesamte Geschichte kennen. Sie hatten vor, eine hochgeborene Kardin in eine Schachfigur von Tyrans zu verwandeln, in eine Agentin, deren Pflicht es war, jene auszumerzen, die Tyrans verraten hatten. Für die drei war es ein wohlüberlegter Witz: Gayed, Rathrox und Bator Korbus, der Exaltarch. Es war eine persönliche Rache, mit der sie auf die Niederlagen reagierten, die sie bei der Eroberung Kardiastans erlitten hatten.
    Schließlich sah ich, was Brand mir schon seit Jahren zu zeigen versuchte. Endlich brachte ich all die Gelegenheiten zusammen, bei denen er mir einen Hinweis gegeben hatte und die ich geflissentlich übersehen habe.
    Gayed ist inzwischen tot; er ist während eines Feldzugs umgekommen. Ohne dass er es jemals erfahren wird, war ich es in gewisser Hinsicht, die zum Schluss über ihn gelacht hat. Normalerweise hätte seine Frau Salacia alles von ihm geerbt, aber sie starb noch vor ihm, während er auf seinem letzten Feldzug war. Entsprechend den Gesetzen der Adoption ging sein gesamter Besitz an mich. Ich bin sicher, dass er so etwas nicht beabsichtigt hatte, aber es gab kein Testament, das etwas anderes verfügt hätte. Er gehörte zu den Menschen, die an Prophezeiungen glaubten, und sein Wahrsager hatte ihm erklärt, dass er ein alter Mann werden und auf seiner Pritsche sterben würde.
    Im Rückblick denke ich, dass er mich gehasst hat. Ich glaube, er und Rathrox haben von Anfang an vorgehabt, mich nach Kardiastan zurückzuschicken. Sie haben dafür gesorgt, dass ich die kardische Sprache beherrsche, und zwar gut. Es war eine schreckliche Rache, die ihr verdrehter Verstand ausgeheckt hat: mich gegen das Land meiner Geburt einzusetzen. Sie wussten genau, wer ich war. Sie hatten es immer gewusst.«
    Ein Großteil von Rathrox’ Beteuerungen,