Der Bund der Illusionisten 3: Brennender Wind (German Edition)
GELIEBTE
23
Im Tal des Arteus, der von den Apenaden herunterfloss, um sich in der Nähe von Getria mit dem Tyr zu vereinigen, kletterte ein Mann das wacklige Baugerüst hinauf, das zum höchsten Punkt des Steinbogens einer halb errichteten Brücke führte. Seine Bewegungen waren so geschmeidig wie die einer Spinne in ihrem Netz, und als er oben angekommen war, schritt er nur einen Fingerbreit vom Rand entfernt gelassen über das frisch errichtete Mauerwerk. Er befand sich jetzt höher über dem Boden, als das Dach des höchsten Gebäudes von Tyr maß. Bis der Schlussstein an Ort und Stelle eingepasst wurde, war das Einzige, das den Bogen– und ihn– aufrecht hielt, eine behelfsmäßige Holzverschalung, und doch machte ihm die Höhe nicht im Geringsten zu schaffen.
Die Brückenarbeiter nannten ihn Araneolus, » kleine Spinne«. Dabei war er gar nicht so klein, eher langgliedrig als kurz, und er hatte auch Muskeln– niemand konnte ständig auf einem Gerüstverbund herumturnen, ohne Muskeln anzusetzen–, aber sie fanden, dass der Name wegen seiner Furchtlosigkeit und Gelenkigkeit zu ihm passte. Abgesehen davon fanden sie die Ähnlichkeit zwischen Araneolus und seinem richtigen Namen, Arrant, erheiternd.
Früher einmal war er der Sohn einer Exaltarchin gewesen, aber dem maßen die Arbeiter nicht viel Bedeutung bei. Es gab jetzt kein Exaltarchat mehr; es war einfach verschwunden– einen Tag, nachdem die Exaltarchin sich an den Senat gewandt und erklärt hatte, dass er keinen Herrscher mehr bräuchte. Für diejenigen, die das Aquädukt bauten, war lediglich wichtig, dass sie jetzt einen Brückenbauer hatten, der wusste, was er tat. Der mit ihnen zusammenarbeitete und sich nicht zu fein war, um an einem Seil zu ziehen oder einen Eimer weiterzureichen, der sich etwas daraus machte, wenn einer der Arbeiter verletzt war, und der dafür sorgte, dass sie rechtzeitig bezahlt wurden. Sie legten ihm gegenüber einen spöttischen Ton an den Tag, wenn sie unter sich waren, und er lächelte freundlich über ihren derben Humor, aber wenn andere dabei waren, sprachen sie von ihm als dem Architekten– dem Baumeister–, und diesen Titel vergaben sie nicht leichtfertig.
Ein Steinmetz, der auf einen von unten heraufkommenden behauenen Steinblock wartete, begrüßte ihn mit einem Grinsen. » Genau im Zeitplan, Meister Araneolus. Wir sind beim letzten Schlussstein.«
» Sieht aus, als würdet ihr euren Bonus bekommen, Licinius! Setzt die Winde in Gang und zieht das Ding hoch.«
Der Steinmetz brüllte etwas, und die Arbeiter begannen, die Winde zu drehen, das Seil quietschte über die Rollen des Holzkrans. Arrant verspürte eine tiefe Befriedigung. Vielleicht konnte er seine Magormacht nicht zur Verfügung stellen, aber er konnte eine schöne, den Fluss überspannende Brücke bauen. Schon bald würden sie sich an den Kanal für den Aquädukt machen, und dann würde Wasser von den Bergen hinunter nach Getria fließen.
» Das ist die schönste Brücke von ganz Tyrans«, sagte er zu sich selbst. » Und wenn sie fertig ist…« Er sah zu den Bergen hinüber, wo der Aquädukt reines Quellwasser auffangen würde. Die Apenaden: die Barriere zwischen ihm und Kardiastan, zwischen ihm und dem, was von der Illusion noch übrig war, zwischen ihm und seinem Bruder. So nah– und doch so unmöglich weit entfernt. Vielleicht wäre es eines Tages an der Zeit, nach Hause zu gehen. Aber jetzt noch nicht.
Als er Kardiastan verlassen hatte, war er gerade sechzehn geworden. Jetzt war er zwanzig. Vier Jahre hatte er studiert und gearbeitet und gebaut. Und mit den Menschen zusammengelebt, die ihn wirklich liebten.
Zumindest wusste er, dass Tarran überlebt hatte. Bevor er Kardiastan verlassen hatte, war ein junger Magoroth in die Zitterödnis gegangen und hatte eine Nachricht von den Illusionierern mit zurückgebracht: Er lebt, aber er kann dich nicht finden. Er war verletzt, aber er hat sich erholt. Der Schrecken, der sich in ihm aufgestaut hatte, war mit den Neuigkeiten weggeschmolzen. Tarran lebte! Und zweifellos war es der Mangel an Macht in Arrants Cabochon, der den Kontakt mit ihm verhinderte.
Er hätte glücklich sein sollen.
Wenn jemand ihn gefragt hätte, wäre dies auch tatsächlich seine Antwort gewesen. Er tat etwas, von dem er häufig geträumt hatte, das er nur niemals als in seiner Reichweite gesehen hatte. Er hatte das Vergnügen, miterleben zu dürfen, wie die schlichte Eleganz eines seiner Brückenentwürfe wirklich Gestalt
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