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Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schulligen
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Substanzen, die sie aus Pflanzen extrahierte. Am spannendsten fand sie, wenn die Nonne die Abschrift des Lorscher Arzneibuchs hervorholte. Darin fanden sich neben umfassenden Rezeptursammlungen wertvolle Hinweise, wie man teure fremdländische Kräuter durch ebenso wirksame heimische Kräuter ersetzte.
    »Es ist eine Schande, dass die Kopie so nachlässig angefertigt wurde«, meinte Karolina. »Es finden sich viele Fehler darin, so wie hier: ›Silybum Marianum‹ ist die korrekte Bezeichnung für Mariendistel, und nicht ›Silabium Marianum‹.«
    Laetitia kannte das Problem aus Paraklet: Viel zu oft schlichen sich Fehler ein, wenn die Buchmalerinnen übermüdet waren oder einfach lustlos ans Werk gingen. Bei Rezepturen allerdings konnte eine abweichende Mengenangabe zu fatalen Folgen führen.
    »Egal wie nachlässig die Kopie auch erstellt sein mag – ich liebe das Lorscher Arzneibuch allein schon aus einem Grunde: Es fordert, dass jeder Mensch, egal ob arm oder reich, Knecht oder Herr, an den Errungenschaften der Heilkunst teilhaben sollte. Ist das nicht ein Gedanke, der begeistert?«
    Karolina nickte und hielt ihr einen Mörser hin. »Jetzt seid Ihr an der Reihe. Hört genau zu, wie ich es Euch erkläre.«
    Und schon gab sie Laetitia Anleitungen für eine weitere Rezeptur. Ihr Wissen über die Medizin teilte Karolina ohne irgendeine Form von Dünkel oder Eitelkeit, wie sie sonst allzu häufig zur Wesensart belesener Menschen gehörten. Vielmehr lehrte sie – wie eine Mutter ihre Kinder – aus einem natürlichen Instinkt heraus, als ob es ihre gottgegebene Aufgabe wäre. Mit Anerkennung ging sie allerdings sehr sparsam um und ihr höchstes Lob bestand in stummem Kopfnicken. Anfangs verwirrte Karolinas verschrobene Art Laetitia. Bald jedoch begann sie, die knappen Weisungen der Nonne und ihre wortkargen Kommentare zu ihrem Lernerfolg zu lieben.
    Es war am 30. Oktober, gleich nach dem Mittagsmahl, als Laetitia wagte, die neu gewonnene Freundin nach dem Häretiker Petrus Abaelardus zu fragen. Beide saßen in der Küche neben dem Refektorium und rührten getrocknete Salbeiblätter mit Öl zu einer Paste.
    »Mein Kind, das ist ein sehr schwieriges Kapitel und ich glaube beinahe, dass die Geschichtsschreiber irgendwann einmal mit großem Bedauern davon berichten werden.«
    Laetitia beruhigte, dass Karolina nicht dazu ausholte, über Petrus Abaelardus und seine häretische Lehre zu schimpfen. Seit Langem verwirrte sie, dass Äbtissin Heloïse, die sie mehr als irgendjemanden sonst schätzte, einen von der Kirche geächteten Mann geliebt hatte. Wenn Karolina von einem schwierigen Kapitel sprach, konnte das einzig bedeuten, dass die Verurteilung des Petrus Abaelardus innerhalb des Klerus kontrovers diskutiert wurde.
    »Aber, was hat er denn Böses gesagt, dass man ihm Lehrverbot erteilte und ihn zu ewigem Schweigen verdammte?«, wollte sie wissen.
    Karolina ließ ihre Hände ruhen und hob den Kopf. Ihr Blick glitt hinaus aus dem Fenster, weg von der Schale auf ihrem Schoß. »Böses gesagt? Nun, Petrus Abaelardus war ein sehr gläubiger Mensch mit einem herausragenden Geist. Ja, er war ein begnadeter Kopf, eine Ausnahmeerscheinung, wie jede Generation kaum mehr als eine hervorbringt, dem stimmen wohl sogar seine ärgsten Feinde zu. Bereits in frühen Jahren, noch bevor er nach Paris ging, um ein Schüler von Wilhelm von Champeaux zu werden. Schon damals, als er noch bei Roscelin von Compiègne studierte, faszinierte er die Menschen mit der Brillanz seiner Argumentation.«
    »Demnach waren nicht alle gegen das, was er lehrte?«
    Ein Lächeln zog sich über Karolinas Gesicht und sie sah Laetitia erstaunt an, als ob sie einem Kind gegenüberstünde, das eine sehr naive Frage gestellt hätte. »Aber nein, Laetitia, nicht alle waren gegen das, was er lehrte, im Gegenteil. Einige der Klügsten unserer Zeit befanden sich unter seinen Verehrern. Dabei denke ich an Otto von Freising oder Johannes von Salisbury.«
    »Weshalb fiel er dann aber beim Papst in Ungnade?«, bohrte Laetitia nach. »Ich kann nicht begreifen, dass man einem so gesegneten Geist wie Ihr sagt den Mund verboten und seine Schriften in Rom öffentlich ins Feuer geworfen hat.«
    »Es würde zu weit führen, dir genau zu erklären, worin seine Lehre, oder sagen wir korrekterweise Irrlehre, bestand. Die Essenz von allem aber lag wohl in der Verabsolutierung der Vernunft. Der Vernunft kam in den Thesen von Petrus Abaelardus Vorrang zu, in allem und jedem, auch im

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