Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
hingerichtet.«
»Und von da an wart Ihr ganz alleine?«
»Gewissermaßen ja. Natürlich verlor ich als Kind einer Mörderin das Anrecht auf das Erbe meines Vaters. Nur einem gütigen Oheim, der mich von Martia aus in die Champagne brachte, verdanke ich die Aufnahme im Kloster Paraklet.«
»Und die Base Eurer Mutter hat sich all des Euch zustehenden Besitzes bemächtigt?«
Laetitia nickte stumm, während auf Karolinas Gesicht rote Flecken sichtbar wurden. Die Nonne ereiferte sich sehr, was Laetitia zunächst erstaunte. Gleich beim Kennenlernen hatte sie bemerkt, dass Karolina materielle Dinge kaum etwas bedeuteten. Warum sonst hatte sie damals die funkelnden Smaragde, die der Auslösung der Korrespondenz des Petrus Abaelardus dienen sollten, völlig desinteressiert betrachtet? Der Grund, weshalb sie sich so ereiferte, musste wohl darin liegen, dass sie die Ungerechtigkeit als solche aus tiefster Seele hasste.
»Das ist nicht zu dulden. Obschon wir für deine Mutter nichts mehr tun können, werden wir – sobald die unglückselige Geschichte mit Margund endlich ausgestanden ist – gegen diese Ungerechtigkeit vorgehen.«
»Was meint Ihr damit?«
»Wir werden die Sache wieder aufrollen und wenn es sein muss, reise ich persönlich nach Martia. Oder noch besser: Ich spreche mit Albero. Wenn sich alles wirklich so zugetragen hat, wie Ihr berichtet, muss er dagegen einschreiten.«
Laetitia staunte. Niemals hatte jemand in den beinahe sieben Jahren, die seit damals vergangen waren, die vage Idee geäußert, sie könne sich gegen das erlittene Unrecht auflehnen. Karolina hingegen brachte diesen Gedanken nicht bloß auf, sondern sicherte im gleichen Atemzug auch noch ihre Unterstützung zu. ›Wir‹ hatte sie gesagt, ›wir‹ und nicht ›Ihr‹ oder ›man‹.
Ein weiteres Wort über die Angelegenheit verlor die Nonne an diesem Tag nicht. Der Gedanke an Wiedergutmachung ließ Laetitia nicht mehr los. Alles hatte sich seit Mutters Tod verändert, sodass es ihr oft so vorkam, als lebe sie nicht das eigene, sondern das Leben eines anderen Menschen. Vielleicht konnte sie sich ein Stück weit die eigene Identität zurückerobern? Allein die Vorstellung, etwas gegen die Ungerechtigkeit zu unternehmen – egal, wie die Chancen standen – faszinierte sie. Die Stimme für die Gerechtigkeit zu erheben, statt schweigend zu leiden. War es nicht das, worauf es ankam? Hingerissen von dieser Idee fand sich eine Zuversicht in ihrem Herzen ein, wie sie sie zuletzt in glücklichen Kindheitstagen empfunden hatte.
*
Schon als sie den Brunnen in der Grabenstraße erreichte, aus dem niemand schöpfte, weil der Himmel Trier heute mehr als reichlich mit Regen segnete, konnte Laetitia den Kerker sehen. Dort sperrte man Missetäter weg, die man aus irgendwelchen Gründen nicht sofort abgestraft hatte, sondern die dort quälend lange Tage oder gar Wochen ihrer Bestrafung entgegensahen. Diebe mussten sich der Vorstellung beugen, die rechte Hand zu verlieren, Betrüger konnte es die Zunge kosten und des Mordes Verdächtigte wie Margund nicht weniger als das Leben.
Regentropfen prasselten Laetitia hart auf den Schädel und sorgten dafür, dass sie die Platzwunde keinesfalls vergaß. Sie blieb für einen Moment stehen, rieb sich mit Daumen und Zeigefinger an der Nasenwurzel und schloss die Augen, die ihr vor Müdigkeit brannten. In der Nacht hatten wirre Träume ihren Körper hin und hergeworfen, denn zu Karolinas Ideen kam die Unruhe wegen des geplanten Gesprächs mit Margund. Wie viele Jahre war es her, dass Laetitia zuletzt einen Kerker betreten hatte? Damals hatte sie ihre Mutter besucht, ohne zu wissen, dass es das allerletzte Mal sein sollte. Verschwommen war die Erinnerung, wie ausgewaschen vom Fluss der Tage, die seitdem vergangen waren.
Als sie an der Kerkertür anlangte, war sie völlig durchnässt. Kalt und schwer klebte das Gewand auf ihrer Haut. Sie fürchtete sich vor dem Vorwurf in Margunds Augen, sobald sie gestand, dass ihr die einzige zur Entlastung anzuführende Zeugin entwischt war. Keine Frage, Margund würde außer sich geraten! Vor allem, da eine Frau wie Brigitta unzählige Unterschlupfe kannte und somit ihr baldiges Auffinden mehr als ungewiss schien. Dabei lief die Zeit dahin und wenn Margund nicht mit dem Henker Bekanntschaft machen sollte, zählte jeder Tag. Umso wichtiger war, dass Laetitia jetzt endlich die Gelegenheit bekam, mit dem Mädchen zu sprechen. Welch ein Glück, dass Edgar von Falkenstein
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