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Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schulligen
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unteren Teil des Regals befanden. Schleifend öffneten sich die ersten beiden. Wie verräterisch laut das harmlose Geräusch durch die diebische Stille dröhnte. Laetitia wurde unwohl zumute, doch ihr Wunsch nach Erfolg half ihr, die Angst zu überwinden. Tatsächlich kamen chronologisch geordnete Schriften zum Vorschein. Zuoberst fanden sich Dokumente zum Frankfurter Hoftag, der im März gehalten worden war, gleich darunter Aufzeichnungen über die Predigt Bernhard von Clairvaux im Speyerer Dom aus dem Vorjahr. Nein, alles aus neuerer Zeit, hier konnte nichts zur Apulienheerfahrt zu finden sein. An der untersten Lade musste sie kräftig rütteln, wieder und wieder, doch ohne Erfolg. Laetitia biss sich auf die Lippen. Noch einmal zerrte sie – unnachgiebig dieses Mal – an dem metallenen Knopf.
    Da, ein Knacken. Aber nein, es kam nicht von der Lade. Plötzlich spürte Laetitia einen Luftzug im Nacken und erstarrte. Es musste jemand die Tür zur Bibliothek geöffnet haben. Reglos horchte sie in die Finsternis: Nichts. Konnten ihre zum Zerreißen gespannten Nerven sie getäuscht haben? Gewiss, so musste es sein, denn schließlich hätte Sebastian ihr längst ein Signal gegeben, wenn sich jemand der Bibliothek genähert hätte.
    Sie spitzte die Ohren und erforschte die Stille. Mit jeder Faser ihres Körpers lauschte sie. Die Zeit schien sich bis zum Vernehmen des nächsten Lautes mit der Trägheit eines Mühlsteins voranzuwälzen. Dann vernahm sie ein Schleifen. Eindeutig, das Geräusch kam aus dem Vorraum. Die Gewissheit der Gefahr brachte ihr Herz schier zum Stehen. Ob der Circator sich auf seinem Rundgang befand und prüfte, ob die Türen verschlossen waren? Was würde geschehen, wenn er seinen Schritt durch die Schreibstube lenkte? In welche Lage hatte sie sich gebracht! Wenn man sie hier entdeckte, bekäme sie größte Schwierigkeiten. Was war nur mit Sebastian los? Er musste doch bemerkt haben, dass sich jemand der Bibliothek genähert hatte. Wieso hatte er sie nicht gewarnt?
    Panisch vor Aufregung blickte sie um sich, suchte nach einem geeigneten Versteck. Weg, nur rasch weg von hier war ihr einziger Gedanke. Hastig pustete sie die Kerze aus. Hoffentlich würde sie der Duft des Bienenwachses nicht verraten. So flink sie konnte, tastete Laetitia sich auf ein Regal zu und zwängte sich dahinter. Kalt spürte sie das Gemäuer der Außenwand an ihrem Rücken. Sie wagte kaum, Luft zu holen vor Angst, das Heben und Senken ihres Brustkorbs könnte sie verraten. Da öffnete sich auch schon die Tür und Füße zeigten sich, die im unsteten Licht zweier flackernder Kerzen in den Raum traten. Der Rest des Scheins verlor sich im finsteren Saal.
    Gespannt wie eine Bogensaite starrte Laetitia über einen Papierstapel hinweg auf die Füße, die sich auf leisen Sohlen näherten. Das Beinpaar lugte unter einer Kutte hervor, sodass Laetitia ihre Vermutung widerlegt sah, der Circator mache seine Runde. Nein, hier schlich mit der Lautlosigkeit eines Diebes ein Mann im geistlichen Habit herein. Er bemühte sich, wie sie selbst, unentdeckt zu bleiben; außerdem hatte er anscheinend beste Ortskenntnis. Dies verrieten seine zielsicheren Schritte, mit denen er auf das Pult von Balderich zustrebte. Es riskierte also jemand, der aus dem direkten Umfeld Alberos stammen musste, einen nächtlichen Einbruch in die Bibliothek.
    Jeden Muskel zum Zerplatzen angespannt, stellte Laetitia sich auf die Zehenspitzen. Vorsichtig reckte sie ihren Kopf über den Stapel unbeschriebenen Pergamentes, der sich vor ihrer Nase befand. Den hurtigen und leichten Bewegungen nach musste der ungebetene Besucher ein junger Mann sein. Dummerweise wurde sein Gesicht von dem Schatten verborgen, den seine Kapuze warf. Mittlerweile hatte der Eindringling die hervorgezogenen Laden bemerkt und die Pergamente auf dem Pult des Balderich entdeckt. In Laetitias Nase kitzelte der Staub – bloß jetzt nicht niesen. Sie unterdrückte mit aller Kraft den quälenden Reiz. Sie beobachtete, wie schmale Hände und spindeldürre Finger sich an die Kopfbedeckung griffen. Laetitia erschrak: Noch bevor die Tonsur des Mannes zu sehen war, wusste sie, dass niemand anderes als Gerwin denselben Entschluss wie sie gefasst hatte.
    Wie seltsam! In vertraulichen Diensten von Alberos Chronisten stehend, hatte er jederzeit Zugang zu den Schriften der Bibliothek. Was trieb ihn dazu, nachts hier herumzuschleichen? Genau wie ihr war Gerwin wenig Erfolg beim Versuch beschieden, die verschlossene

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