Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
darauf entdecken, wer alles am Feldzug teilgenommen hatte, sondern welche der Männer sich zum ›Bund der silbernen Lanze‹ zusammengeschlossen hatten.
Um an diese Chroniken heranzukommen, die man in den streng überwachten erzbischöflichen Archiven hütete, hatte Sebastian am Nachmittag all seinen Einfallsreichtum bemüht. Mit der Feuerglocke, die er wie wild geschlagen hatte, hatte er für Aufruhr gesorgt, und das nicht zu knapp. Gleich kopflosen Hühnern waren die Schreiber aus der Bibliothek gesprungen und zum Brunnen gestürzt, um Wasser zu holen. Keinesfalls durften die kostbaren Schriften ein Raub der Flammen werden. Wehe dem, der sie nicht mit seinem eigenen Leben verteidigte. Laetitia unterdrückte ein Lächeln bei der Erinnerung an den Schelmenstreich, der ihr ermöglicht hatte, unbeobachtet in die Bibliothek einzudringen.
Verräterisch knarrten die Dielen unter ihren Füßen. Als sie am heutigen Nachmittag durch das geöffnete Fenster einen Blick in die Schreibstube geworfen hatte, um das Terrain zu erkunden, hatte das Gemurmel dreier Gehilfen von Balderich die Luft erfüllt. Sie waren eifrig damit beschäftigt gewesen, eine Leihgabe des Kölner Bischofs zu kopieren. Silbe für Silbe hatten sie die aufzuschreibenden Worte vor sich hin gewispert. Nun herrschte Stille. Laetitia kamen die Federkiele, die untätig an der Seite halbleerer Tintenfässer lagen, wie faule Lümmel vor.
Die Längswand zu Laetitias Linken wies hohe Fenster auf, die bei Nacht sorgfältig verriegelt waren. Die gegenüberliegende überzog ein deckenhohes Regal voller Bücher. Von den hintereinander aufgestellten Pulten diente das vorderste Balderich als Arbeitsplatz. Es verfügte über eine Ablage, einen schmalen mit zahlreichen Fächern ausgestatteten Dokumentenschrank. Vermutlich lag Sebastian mit seiner Annahme ganz richtig und Balderich bewahrte hierin diejenigen Schriften auf, die Alberos vergangenes Wirken beschrieben, während die aktuelle bischöfliche Korrespondenz sich in den Laden seines Pults befand.
Laetitia reckte sich zum obersten Gefach der Dokumentenablage empor und berührte zaghaft einige Pergamente, die dort sorgsam eingerollt und mit Schnüren umwickelt lagen. Wie ihr eine feine Staubschicht verriet, hatte diesen Schriften schon lange niemand mehr Interesse entgegengebracht. Trotzdem konnten sie genau die Hinweise enthalten, die sie so dringend benötigte. Um Erfolg zu haben, musste sie als Erstes herausfinden, nach welchem System Balderich bei der Archivierung vorging.
Argwöhnisch schielte sie zur Tür. Alles in Ordnung. Dann fasste sie nach der zuoberst liegenden Pergamentrolle und nestelte sie hastig auf. Jetzt musste sie doch den Feuerstein bemühen, um eine Kerze zu entzünden. Voller Wissbegierde flogen ihre Augen über das Schriftstück. Es erwies sich als Skizze, die den Grundriss von Trier nachbildete, mit Plänen zur Erweiterung der Stadtmauer und anderen Schutzmaßnahmen gegen mögliche Angriffe. Die nächste Schriftrolle entpuppte sich als eine Aufstellung von Einnahmen, die man sich von dem Strom der Pilger erhoffte, die im Zuge der Matthiasverehrung nach Trier kamen. Seit dem Reliquienfund, den Mönche bei Bauarbeiten im Benediktinerkloster gemacht hatten, erwartete man nun unzählige Gläubige aus dem ganzen Reich. Wenn endlich die neue Matthiaskirche fertiggestellt war, würden die Pilger an der Grabstätte des Heiligen um Nachlass ihrer Sünden bitten. Ob sie damit Erfolg hatten, wusste Gott allein, aber eines stand fest: Aufgrund der Reliquie würden auf jeden Fall die Truhen der Stadt gefüllt. Vielleicht interessierten sich die Leute beinahe so sehr dafür wie für die Sandalen Christi, ein Geschenk des Königs Pippin, das die Abtei Prüm seit fast vierhundert Jahren als Trumpf in Händen hielt. Schließlich war Matthias ein treuer Gefährte von Christus gewesen. Das Grab mit den Gebeinen des Apostels Matthias als einzige Ruhestätte eines Jüngers Jesu nördlich der Alpen konnte mit etwas Glück zu einer einmaligen Attraktion werden. Meine Güte, wenn sich die Schätzungen nur zur Hälfte als richtig erwiesen, würden mit dem Pilgerstrom für Trier goldene Zeiten anbrechen. Doch so sehr das Zahlenwerk auch beeindruckte, brachte es Laetitia in ihren Nachforschungen über die silberne Lanze keinen Zoll weiter.
Das nächste Fach erwies sich, von einem Lineal und einem Töpfchen mit Blattgold abgesehen, zu ihrer Enttäuschung als leer. Dann zog sie an den schmalen Laden, die sich im
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