Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
versucht. Gleich zwei Tage nach den schrecklichen Kämpfen. Es ließ mir einfach keine Ruhe und so ging ich zu ihm. Ich fand die Tür seiner Hütte nur angelehnt und trat ein. Niemand war in der Stube und doch beschlich mich ein seltsames Gefühl, als ob ich jemanden im Nacken sitzen hätte. Niemals werde ich diesen Tag vergessen.« Der Mönch blieb stehen, als ob die erschütternde Erinnerung ihm versagte, auch nur einen einzigen Schritt weiterzugehen.
»Aber als Ihr in seiner Hütte eintraft, war es schon zu spät. Er hatte einen Pfeil im Rücken. Sebastian von Falkenstein hat mir berichtet, dass Ihr den Späher tot aufgefunden habt.«
Hängenden Hauptes zuckte Ansgar die Achseln. »Ja, ich kam zu spät. Ich trat an das weit geöffnete Fenster, das zum Hafen hinausging, und erschrak beinahe zu Tode. Noch jetzt überläuft es mich mit Grabeskälte. Keine vierzig Schritte entfernt lag ein Mann, aus dessen Rücken ein Pfeil ragte. Ich wusste noch in derselben Sekunde, dass der Tote der Späher war. Wie angewurzelt stand ich da, unfähig mich zu regen. Dann vernahm ich ein Hüsteln, beinahe ein Rasseln der Lunge, könnte man sagen. Glaubt mir, in hundert Jahren werde ich dieses seltsame Geräusch nicht vergessen.«
»Dann war der Schütze noch im Haus?«
»Ja. Vielleicht hat er sich vergewissern wollen, dass niemand dort war, der seine Tat beobachtet hatte?«
»Bevor er sich davonmachen konnte, hörte er vermutlich Eure Schritte auf das Haus zukommen und versteckte sich.«
»So muss es wohl gewesen sein. Noch immer wie betäubt, reagierte ich viel zu langsam. Als ich mich endlich – es mochten Sekunden sein, doch schien es mir später wie Jahre – umwandte, hastete der Schütze bereits davon.«
Laetitia nickte. »Ihr habt ihn nicht zu fassen bekommen?«
Der Alte schüttelte bekümmert den Kopf. Bevor er weitersprach, presste er beide Hände an die Schläfen, als wolle er sein Hirn zwingen, ihm die Fragen zu beantworten, die in ihm brannten. »Was mich am meisten erschreckte, war die Erkenntnis, dass die Befiederung am Ende des Pfeilschafts nicht die rote Kennung von Heinrichs Leuten trug. Der Schütze hat einen unserer eigenen Pfeile benutzt.«
»Dann war es womöglich gar keiner von Heinrichs Männern, wie Sebastian vermutet hat. Falls der Mörder aus Euren eigenen Reihen stammte, spricht alles dafür, dass entweder jemand die vielen Opfer rächen wollte, die das klägliche Versagen des Spähers geforderte hatte, oder aber … «
»Oder aber, es gab wirklich einen Verräter«, vollendete der Alte Laetitias Gedankengang.
»Und der hat den Späher aus dem Weg geräumt. Nun, da er von seiner falschen Aussage profitiert hatte, wollte er sich seines Schweigens vergewissern.« Laetitia graute vor so viel Skrupellosigkeit.
»Dieser schreckliche Verdacht kreiste damals in meinen Gedanken und ich habe mit der Schwester Botanikerin aus dem Stift darüber gesprochen«, erklärte Ansgar. »Ich wollte erfahren, ob sie jemanden behandelt, der unter einer seltsamen Lungenkrankheit leidet.«
»Verstehe, wegen des Röchelns, das Ihr in der Hütte gehört habt. Und ihr fiel niemand ein?«
»Niemand, der infrage kam.«
»Mit ›Infragekommen‹ meint Ihr: jemand, der durch eine Schenkung oder ein Lehen zu Reichtum kam?« Laetitia begann, die Bedeutung der Notizen zu erahnen, die sie gestern Nacht zwischen den Buchseiten entdeckt hatte. Der erste Eintrag war genau drei Jahre alt.
»Ja, genau. Wir fanden aber niemanden, und irgendwann, ja irgendwann wurden wir des Forschens müde, gaben auf und ließen die Vergangenheit ruhen.«
Das eigenartige Husten, nein, Röcheln, das Ansgar beschrieb, weckte in Laetitia Erinnerungen an den Abend von Burkhard Tod. Auch aus den Lungen dieses Mörders war ein Rasseln gekommen, just in dem Moment, als er mit der Hand gegen Brigitta ausgeholt hatte. ›Katzenhaare‹, schimmerte es durch ihren Kopf. Beide – die Hure sowie auch Ansgar – liebten Katzen und ihre Kleidung war übersät von Tierhaaren. Verursachten die Haare beim Mörder Atemnot? War der Bösewicht deswegen in keuchenden Husten verfallen in der Nähe der beiden? Wenn ihre Annahme zutraf, bewies sie, dass der Späher vom gleichen Mann getötet wurde wie Burkhard. Ein Gefühl von Siegesgewissheit durchströmte Laetitia: Für sie stand nun unzweifelhaft fest, dass ein Zusammenhang zwischen dem Verrat in der Fehde und dem Mord an Burkhard existierte. Sie befand sich auf der richtigen Fährte. »Eine Frage habe ich noch, dann
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