Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
herrlich goldenen Herbsttag versprach, wie Gott ihn selten schenkte. Die Mühe, in der Stadt nach Sebastian zu fragen, würde sie sich getrost ersparen. Für einen Mann, der die Jagd liebte, konnte es an einem Tag wie diesem nur einen einzigen Ort geben. Wenig später öffnete Laetitia die Stalltür. Das Geräusch schnaubender Tiere, scharrender Pferdehufe und das Klirren von Halfterketten kamen ihr entgegen. Mit fliegenden Händen sattelte sie den Rappen, der sie schon nach Sankt Matthias gebracht hatte. Bald darauf ging es im Galopp über die weiten Stoppelfelder, die sich von der Ernte ausruhten. Der Wind pfiff in ihren Ohren, bis sie nach einer guten halben Stunde die Falknerei erreicht hatte.
Laetitia saß ab. Während sie das Pferd über den Hof führte, beobachtete sie den Falkner. Mit weit ausholender Armbewegung schwang er über seinem Kopf ein Federspiel, das an einem sechs Ellen langen Seil flatterte, um einen der stolzen Vögel anzulocken. Mit einem krächzenden Schrei stieß ein Falke herab und holte sich ein Stück blutigen Fleisches als Lohn von seinem Meister. Dessen Gesicht leuchtete vor Freude über einen weiteren Erfolg in der Abrichtung des Tieres. Laetitia ließ sich durch das von der Jagdhütte herübertönende Gelächter leiten und fand Sebastian auf der dahinter liegenden Lichtung gemeinsam mit zwei anderen jungen Männern beim Bogenschießen. Das Flirren eines Pfeils durchzog die Luft. Er suchte sein Ziel und bohrte sich mit dumpfem Geräusch in die Scheibe – leider nur an ihrem Rand. Wenn man es genau nehmen wollte, an ihrem äußersten Rand. Erzürnt über das mäßige Ergebnis, das sein Schuss erzielt hatte, schimpfte Sebastian. Auch der Spott seiner Freunde ließ nicht lange auf sich warten. Ob wirklich der misslungene Schuss die beiden so amüsierte oder vielmehr Sebastians Unfähigkeit, souverän damit umzugehen? Auf alle Fälle brachten sie ihn mit ihrem Gelächter in Rage. Er warf seinen Bogen auf die Erde und wandte sich um. Laetitia schnellte zurück und presste ihren Rücken an die Längswand. Sebastians Laune musste sie als ungutes Vorzeichen werten. Dass sie seinen mangelnden Erfolg im Wetteifer mit seinen Freunden beobachtet hatte, sollte er besser nicht bemerken. Nein, sie würde so tun, als wäre sie gerade erst eingetroffen.
»Sebastian«, rief sie mit Neugier vorspiegelnder Stimme aus ihrem Versteck heraus, »Sebastian, seid Ihr da?« Erst danach trat sie zwei Schritte vor. Das Haar hing Sebastian wirr in die Stirn und die Sonne, die ihm in den Rücken schien, warf einen Schatten vor ihn. Laetitia hatte durch das Gegenlicht Mühe, in seiner Miene zu lesen. Aber vielleicht war das besser so, denn Begeisterung über ihr Erscheinen würde sich kaum darin zeigen.
»Was wollt Ihr hier?« Die Knappheit seiner Begrüßung bestätigte Laetitias Erwartung.
»Ich hoffe, Ihr seid mir nicht mehr böse … Ich meine, wegen neulich … Aber im ersten Moment war ich so verärgert, dass, na ja, Ihr versteht schon. Eigentlich bin ich gekommen, um Euch von meiner Entdeckung zu berichten. Ich meine, in Balderichs Aufzeichnungen über den Apulienzug. Wisst Ihr, wer einer der Ritter in des Kaisers Gefolge war? Ruperts Vater!«
Hatte Sebastian zuvor den Beleidigten gemimt, verlor er nun seine Gleichgültigkeit. Er pfiff durch die Zähne. »Ruperts Vater? Und Ihr meint, falls er zum Bund der silbernen Lanze gehörte, könnte er das Amulett seinem Sohn geschenkt haben?«
»Wäre doch möglich. Auf alle Fälle hat Gerwin beim Festabend Andeutungen gegenüber Rupert gemacht, die in diese Richtung wiesen. Klang wie ein Erpressungsversuch. Natürlich kann es sein, dass Gerwin sich nur auf Vermutungen stützte und ohne jeglichen Beweis einfach mal sein Glück versuchte.«
»Offenbar landete er einen Treffer – einen Treffer, der für den Erpresser tödlich war.«
»So lautete meine erste Vermutung ebenfalls, aber wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen«, dämpfte sie Sebastians Euphorie über den sich herauskristallisierenden Verdacht. »Erstens wissen wir nicht, ob Ruperts Vater wirklich ein Amulett mit der silbernen Lanze besa…«
»Und zweitens hätte sich jedem der Festgäste die Möglichkeit geboten, Gift in Gerwins Wein zu mischen«, schnitt Sebastian ihr das Wort ab.
»Eben. Außerdem ist da noch etwas, über das ich mit Euch reden will. Als Ihr nach dem Fest in Eures Vaters Haus gemeinsam mit den Dienern den Leichnam nach draußen trugt, haben Rupert und Wilhelm mir ein
Weitere Kostenlose Bücher