Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
Seelen?«, fragte Erienne.
»Sie werden hier im Berg in Stasis gehalten. Sie sind alle zusammen, und dies verleiht den Protektoren ihre Kräfte. Der Gedankenaustausch über die Handlung und die Handlung selbst geschehen im gleichen Augenblick. Eine Armee von Protektoren ist unüberwindlich.« Laryon zog die Augenbrauen hoch.
»Und wie sieht nun die Prozedur aus, um den Unbekannten freizugeben?« Ilkar deutete auf Sol, der wie eine Statue an der Tür stand.
»Ilkar«, sagte Laryon gemessen, »ich habe Euch etwas über die Erschaffung eines Protektors erzählt, damit Ihr versteht, welche Risiken damit verbunden sind, oder damit Ihr wenigstens um die Risiken wisst, die uns bekannt sind. Ihr müsst begreifen, dass das, was Denser und ich versuchen werden, bisher noch nie versucht worden ist. Ich will alles in meiner Macht Stehende tun, um Sol am Leben zu erhalten, aber ich kann nichts garantieren.«
»Es wäre doch sehr bequem, wenn er dabei stirbt, nicht wahr?«
»Keineswegs. Was hätte ich schon dadurch zu gewinnen?«
»Die Kontinuität der Protektoren«, sagte Ilkar. »Ihr hättet den Kollegien bewiesen, dass Ihr es versucht habt und gescheitert seid, und Ihr könntet Euch auf Euer altes Argument zurückziehen, dass irgendein Leben immer noch besser sei als gar keines. Nach dem, was ich gerade gehört habe, würde ich persönlich allerdings bezweifeln, ob das Dasein eines Protektors überhaupt die Bezeichnung ›Leben‹ verdient.«
»Ich verstehe Euren Zynismus«, sagte Laryon. »Auch wenn Ihr es vielleicht nicht glauben werdet, ich stimme Euch zu. Es gibt eine wachsende Fraktion auf dem Berg,
die verlangt, gewisse überkommene und geschmacklose Praktiken zu reformieren. Denser gehört zu dieser Fraktion, und ich bin wahrscheinlich der Unterstützer mit dem höchsten Rang. Ich will, dass diese Angelegenheit erfolgreich verläuft – als Reformer und als Forschungsmagier. Und deshalb wird Denser mir helfen. Ihm werdet Ihr doch hoffentlich vertrauen?«
»So weit ich einem Xeteskianer überhaupt vertrauen kann.«
Laryon lächelte. »Mehr kann ich Euch leider nicht anbieten.«
»Dann muss es reichen. Aber ich will Euch warnen. Wenn der Unbekannte stirbt, und Ihr könnt seinen Tod nicht in Begriffen erklären, die Hirad verstehen kann, dann wird das Ergebnis das Gleiche sein, als hättet Ihr gar nicht erst zu helfen versucht.«
»Danke, Ilkar.« Denser seufzte. »Möchte noch jemand Wein?« Er schenkte nach.
»Könnt Ihr mir eine Abschätzung der Risiken geben?«, sagte Erienne.
»Eine wirkliche Abschätzung nicht«, erwiderte Laryon, »aber ich kann versuchen, es zu beschreiben. Zuerst einmal ist die Wiedereinsetzung einer Seele bisher nur eine theoretische technische Möglichkeit, und auch dies kann nur durch die Kommunikation über die Dämonenkette geschehen. Wir wissen nicht, ob dabei irgendwelche Schäden angerichtet werden. Wir haben auch keine Ahnung, ob die Seele überhaupt zurückkehren wird oder welche Schäden die dauerhafte Unterdrückung des früheren Bewusstseins verursacht hat. Wir können nur raten, welchen Erschütterungen das ganze System ausgesetzt ist, wenn die Dämonenkette zerbrochen wird und der Körper wieder frei ist. Vergesst nicht, dass er tot war.«
Ilkar blickte zum Unbekannten. Der Krieger beobachtete sie. Oder vielleicht hörte auch die Dämonenkette durch ihn zu und beobachtete aufmerksam, was geschah. Wie immer verrieten die Augen hinter der Maske nicht, was er dachte.
»Eine Rückkehr in den Tod wäre dem, was er jetzt hat, sicher vorzuziehen«, sagte Ilkar.
»Ich würde dem zustimmen«, meinte Laryon. »Denser? Wir müssen uns vorbereiten. Zuerst aber müssen wir herausfinden, wie es um unseren Freund Nyer steht. Denser, könntet Ihr bitte Kontakt mit Eurem Hausgeist aufnehmen?«
Denser nickte und schloss die Augen.
Plötzlich regte sich die Katze auf Hirads Schoß und weckte ihn aus dem Schlummer. Er richtete sich im Sessel auf und sah aus dem Fenster. Es war Spätnachmittag, und die Sonne verlor allmählich an Kraft. Eine frische Brise kühlte die Felder. Hirad konnte in der Ferne einen Knecht mit einem Pflug sehen, und Arbeitsgeräusche drangen aus Scheunen und Nebengebäuden.
Er sah die Katze an und erschrak, als er dem Dämon in die Augen sah.
»Lass das sein!«, fauchte Hirad. Der Hausgeist lächelte und kicherte. Es war ein hohles Geräusch, das nichts mit Humor zu tun hatte. »Was ist denn los?«
»Sie kommen. Wir müssen bereit sein, bald von hier
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