Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
wenig undankbar. Immerhin haben wir Euch Euer Leben zurückgegeben.«
Die Hände des Unbekannten schossen vor, packten Stylianns Kehle und drehten seinen Kopf, bis ihre Blicke sich begegneten.
»Nein. Ihr habt mir meinen Tod gestohlen.« Stylianns Hände bewegten sich. »Lasst das bleiben. Ihr seid nicht schnell genug. Aber versucht es nur, wenn Ihr meint.« Die Hände des Unbekannten spannten sich, Styliann würgte und machte eine beschwichtigende Geste. »Ich hatte den Zeitpunkt meines Todes gewählt. Nicht viele Männer bekommen diese Chance. Ihr habt mir dieses Privileg genommen.«
»Ihr lebt aber«, keuchte Styliann.
»Ich könnte jederzeit meine eigene Leiche besichtigen.«
»Denser, bitte.« Styliann umklammerte einen Arm des Unbekannten.
Denser schien erst jetzt zu bemerken, was da vor sich ging. Er betrachtete die anderen Delegierten und die xeteskianischen Schwertkämpfer, die sich bereithielten. Auch Ilkar beobachtete Styliann wie gebannt.
»Unbekannter, bitte lass ihn los.«
Der Unbekannte ließ los und wandte sich an Denser. »Entschuldige«, sagte er.
Denser zuckte mit den Achseln. Styliann winkte seinen Männern, sich zurückzuhalten, doch er starrte den Unbekannten böse an.
»Ich werde nicht Euer Ausstellungsstück sein«, sagte der Unbekannte. »Ich gehöre zum Raben.«
»Denser, lasst uns reden. Draußen.« Styliann verließ steifbeinig das Zelt.
Denser seufzte, folgte ihm und drückte den Arm des Unbekannten, als er ging. Draußen bemerkte er, dass Vuldaroq breit lächelte.
Styliann entfernte sich nur einige Schritte vom Zelt, ehe er seine Assistenten fortscheuchte.
»Erzählt mir über Euren Zustand.«
Denser rieb sich die tiefliegenden, roten und von dunklen Ringen umgebenen Augen.
»Ich kann meine Mana-Reserven nicht richtig aufbauen, meine Konzentration ist zu schwach für komplizierte Sprüche, und ich kann meinen Blick nicht aufs Mana-Spektrum richten.« Es war das, was Styliann hören wollte, doch es verriet nichts über Densers wahre Verfassung.
Das Gefühl von Verlust durchdrang ihn bis ins Knochenmark; sein ganzer Körper war eiskalt. Sein Bewusstsein war zugleich voller Bilder und völlig emotionslos. Der Teil seines Bewusstseins, der mit dem Hausgeist so lange verbunden gewesen war, fehlte auf einmal, und Denser stellte sich vor, er habe über dem rechten Auge ein schmerzendes Loch. Nur wenn er die Hand darauf legte, fühlte er, dass der Schmerz im Innern war und sich nicht lindern ließ.
Der Verlust der Stimme und des Pulsierens schmerzte mehr als die Qualen, die er beim Tod des Hausgeistes empfunden hatte. Seine Stimme hatte ihm Ruhe und Trost geschenkt, doch das Pulsieren hatte er als selbstverständlich betrachtet. Als etwas, das zu ihm selbst gehörte. Jetzt war das Pulsieren fort, weil ein Teil von ihm gestorben war.
»Ihr werdet bald wieder über Eure Fähigkeiten verfügen können. Ihr braucht nur etwas Ruhe. Und was den Kummer
angeht, so wird dieser bleiben, fürchte ich.« Styliann sah ihn nicht unfreundlich an. »Es tut mir leid, dass es geschehen ist, aber ich begreife nicht ganz, warum er Nyers Gruppe angegriffen hat. Was aber nicht heißen soll, dass ich über den Tod des Verräters unglücklich bin.«
»Er war der Ansicht, er müsse Nyer ablenken. Er dachte, sie seien schon zu nahe.« Denser zuckte mit den Achseln. »Vielleicht hätten sie sonst den Raben geschnappt, bevor er hier eingetroffen wäre.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass es unbedingt nötig war. Möglicherweise dachte er, er müsse seinen Wert unter Beweis stellen.«
»Seinen Wert?« Styliann runzelte die Stirn. »Er war ein Hausgeist. Er hatte keine Vorstellung vom Wert eines Gefährten.«
»Hattet Ihr schon einmal einen Hausgeist?«, fragte Denser. Styliann schüttelte den Kopf. »Dann könnt Ihr auch nicht wissen, welche Vorstellungen sie haben. Ich habe es gefühlt, ich weiß es.«
Styliann nagte nachdenklich an seiner Unterlippe. Er blickte zum Morgenhimmel hinauf und betrachtete die leichte Wolkendecke. »Zeigt mir die Katalysatoren«, sagte er schließlich.
»Ich habe sie nicht.«
»Wo sind dann …«
»Der Rabe hat sie. Ich konnte sie ja nicht nach Xetesk mitnehmen.«
Styliann schnaufte schwer. »Nein, es war wohl besser so.«
Eine kurze Unruhe in einem anderen Teil des Lagers unterbrach ihr Gespräch. Zuerst war sich näherndes Hufgetrappel zu hören, dann bogen der Rabe und Evanson um ein Gebüsch. Sie zügelten dicht vor dem Zelt
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