Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
stand neben Hirad, Ilkar neben dem Unbekannten. Rechts vom Barbaren hatten Jandyr, Denser, Erienne und Thraun ihre Posten bezogen. In der Mitte tastete Will auf dem Boden herum und suchte und fand schließlich seine Einbrecherwerkzeuge. Er nahm die Arbeit am Deckel des Kastens wieder auf.
Das Klirren von Metall auf Marmor, das Kratzen von Stein auf Kacheln kam mit jedem Herzschlag näher, und Hirad konnte sie spüren. Sie ragten hoch auf, riesig und unsichtbar, erschreckend gerade weil sie schwiegen. Er hielt die Klinge bereit.
»Ilkar …«
»Bei den Göttern, es ist der Tempel selbst.« Ilkars Ausruf ließ Hirad zusammenzucken.
»Was ist los?«, fragte Denser.
»Wir waren blind, bevor das Licht ausging. Denser, denk nach. Rundes Gebäude, Kuppeldach, dicht verschlossen, nadelspitze Türme …« Ilkar brach ab, als er sah, wie es in Densers Gesicht arbeitete.
»Wir sind in einem Kaltraum«, sagte der Dunkle Magier schuldbewusst, weil er das Offensichtliche übersehen hatte.
»Hirad, wir müssen eine Tür oder eine Luke öffnen. Vertrau mir. Sie sind in zwanzig Sekunden da.« Ilkar schluckte schwer.
Ein Knacken bewies, dass acht Äxte in acht behandschuhten Händen zum Schlag erhoben wurden. Hirad schüttelte sich. Er musste sich beherrschen, um nicht die Nerven zu verlieren. Rings um ihn stand der Rabe bereit. Wenigstens würden sie sterben, während sie versuchten, einander zu beschützen. Er traf seine Entscheidung.
»Ilkar und Erienne, seht zu, was ihr tun könnt. Alle anderen, lasst uns den Kreis enger ziehen, damit die beiden und Will mehr Zeit bekommen. Vorsicht mit dem Boden, das Blut ist nicht so trocken, wie es aussieht. Thraun, Jandyr, ihr weist uns ein. Bei den Göttern, der Geruch ist widerlich.«
Links neben Hirad tippte der Unbekannte mit der Schwertspitze auf den Boden. Es war Zeit.
»Sie sind fast da«, sagte Thraun. »Hirad, du hast zwei, die Äxte gehoben, Abwehr oben. Denser, einer bei dir. Unbekannter, zwei bei dir. Sie werden gleichzeitig zuschlagen, links nach rechts, diagonal.«
»Unbekannter, bereit?« Hirads Stimme schnitt durch den Nebel, der sich in seinem eigenen Kopf gebildet hatte. Er keuchte und würgte, Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn und in den Achselhöhlen.
»Für so etwas kann man nicht bereit sein. Haltet die
Klingen schräg nach unten, um die Schläge abgleiten zu lassen, sonst hauen sie euch um.«
Abrupt hörte das Kratzen und Klirren auf. Getuschel war zu hören. Mäntel raschelten, als sei ein leichter Luftzug durch den Stoff gestrichen. Die Stille jagte Hirad einen Schauer über den Rücken.
»Jetzt«, sagte Jandyr.
Die Schläge kamen. Im letzten Augenblick spürte Hirad die Positionen der Statuen und den Schatten ihrer Klingen. Mit zwei Händen am Griff wehrte er einen Schlag ab, und der zweite ließ ihn schwanken. Funken sprangen ringsum von den Klingen und beleuchteten die maskierten Gesichter der Statuen einen Sekundenbruchteil lang, bevor sie wieder in der Dunkelheit verschwanden. Dann blieb nur noch das Nachbild. Es wäre besser gewesen, sie überhaupt nicht gesehen zu haben. Aber immerhin hatten alle Rabenkrieger die erste Runde überlebt.
»Sie reagieren langsam«, berichtete Thraun. »Die Waffen sind noch unten, aber sie nehmen sie hoch, wahrscheinlich kommt jetzt ein nach oben geführter Hieb. Wir sollten jetzt nicht angreifen. Lasst uns erst sehen, was sie haben.«
»Eine sehr einfache Beschwörung«, ergänzte Denser. »Wenn der nächste Schlag wie der vorherige kommt, dann haben sie nicht mehr zu bieten.«
Im Innern des Kreises arbeitete Will fieberhaft und blind und mit dem Kopf so dicht am Gehäuse, dass er trotz des schrecklichen Gestanks der Toten den Geruch von Metall und Glas wahrnehmen konnte. Ringsum kämpfte der Rabe, um ihn zu schützen. Er konzentrierte sich und unterdrückte die Angst. Seine tastenden Finger verrieten ihm, dass das Glas verstärkt war. Eigentlich hätte er einen Hammer gebraucht, um das Glas zu zerstören, doch er
hatte begriffen, warum Denser dieses Risiko nicht eingehen wollte. Der Kasten war fest versiegelt, und er musste jetzt den Mechanismus finden, der den Deckel öffnete. Die Vorrichtung musste irgendwo sein, doch er wusste nicht, wie viel Zeit der Rabe ihm noch verschaffen konnte.
Ilkar hatte Eriennes Hand gefasst und lief geduckt durch den enger werdenden Kreis der Angreifer. Noch während er sich duckte und auswich, wurde ihm klar, dass kein Schlag kommen würde. Die Statuen hatten ihr Ziel
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