Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
einluden, auf die kürzere, aber weniger gewinnbringende Reise nach Gyernath zu verzichten.
Das hervorstechendste Merkmal der Stadt waren die stabilen, weitläufigen und niedrigen Gebäude, die wegen der starken Winde und Stürme, die immer wieder durch die Flussmündung fegten, wenn das Klima vom Winter zum wärmeren Wetter des Frühlings wechselte, widerstandsfähig gebaut sein mussten. Auf drei Plätzen fanden an jedem Wochentag stark besuchte Märkte statt; verbunden wurden die Handelsplätze durch Straßen voller Geschäfte und Läden, Gasthöfe und Garküchen, Bordelle und Spielhallen.
Außerhalb dieses Dreiecks und näher zum Hafen hin blühte die Schwerindustrie. Dort klirrte es, dort brannten Schmiedefeuer, dort wurde gesägt und gegossen, dort wurden Waren für das Inland und für Kunden in Übersee produziert. In allen Lücken zwischen den Häusern, die der Unterhaltung, dem Handel, der Verwaltung und der Arbeit dienten, wohnten Menschen. Manche im Elend, manche in einem Luxus, von dem diejenigen, die nichts als den Dreck an ihren Händen sahen, nicht einmal träumen konnten, und die meisten in einem Zustand ewiger Veränderung irgendwo zwischen diesen Extremen.
Die Rabenkrieger ließen die Pferde im Schritt laufen und wandten sich zum westlichen Markt und zum nördlich davon gelegenen Krähenhorst. Die Straßen waren voller Menschen und Karren mit Zugtieren, es roch frisch, verfault und übel, und neben den Gerüchen trug der Wind den ewigen Lärm der Stadt heran. An Verkaufsständen, auf Wagen, aus Weidenkörben und von Tabletts, die an Schultergurten hingen, wurden alle nur denkbaren Waren feilgeboten: feines Tuch, das aus dem Elfenland im fernen Süden importiert wurde, Töpferwaren und solche aus Eisen und Stahl, geschmiedet
und gegossen in den Werkstätten und Brennöfen von Korina und Jaden; Fleisch, Gemüse und Pasteten, die in den zahllosen Küchen der Stadt zubereitet wurden, manche sauber, viele aber auch minderwertig und schmutzig. Der lebhafte Handel wurde allein durch die Sprache der klingenden Münze kontrolliert, und überall wechselten Silber und Bronze die Hände und schimmerten im roten Licht der untergehenden Sonne.
Glücklicherweise bewegte sich der größte Teil des Verkehrs in die entgegengesetzte Richtung, als der Tag sich dem Ende neigte. Doch immer noch war der gepflasterte Marktplatz voller Stände, durch die sich der Rabe einen Weg bahnen musste. Reden konnten sie nicht mehr, als der Unbekannte sie im Gänsemarsch über den Platz führte, zum Krähenhorst und in das stille Hinterzimmer des Gasthofes, das ihnen nach der Schlacht als Zuflucht diente.
Tomas’ Sohn Rhob, ein Bursche, der aus Ehrfurcht vor den Söldnern fast erstarrte, führte die Pferde in die Ställe, und die müden Reiter gingen steifbeinig nach drinnen.
»Hallo, Junge!« Der Wirt stand hinter der Bar und grüßte den Freund, der ihm trotz des seltsamen Namens längst kein Unbekannter mehr war. Die Plätze im Krähenhorst waren, wie um diese Tageszeit zu erwarten, etwa zu einem Viertel besetzt. Es war eine große Gaststube, dreißig Tische in einem weitläufigen, von Eichenpfosten gestützten niedrigen Raum. Die Theke stand direkt gegenüber der Tür und lief in einem Viertelkreis von rechts nach links bis zur Küchentür, zum Hinterzimmer und der nach oben führenden Treppe. Rechts befand sich der offene Kamin des Krähenhorsts. Bücher standen ringsum an drei Wänden auf Brettern, die Lampen waren mit roten und gelben Schirmen versehen, um eine warme Atmosphäre zu erzeugen.
»Hallo, Tomas.« Die Stimme des Unbekannten klang müde.
»Geht einfach durch«, sagte Tomas. Er war ein großer, glatzköpfiger Mann Ende vierzig. »Ich bringe euch Wein, Ale und Kaffee. Maris ist gerade mit Kochen fertig. Ich …« Er runzelte die Stirn und unterbrach sich, als er die Neuankömmlinge näher ins Auge fasste und Denser bemerkte. Der Unbekannte nickte, ging zur Bar und legte Tomas eine Hand auf den Arm.
»Heute Abend wird es hier ein Fest geben. Wir haben viel zu feiern, vieles zu erinnern und Ras zu betrauern.«
Nichts weiter wurde gesprochen. Der Rabe marschierte an Tomas vorbei ins Hinterzimmer, und die Männer nickten und lächelten zum Gruß.
Drei Dinge stachen im Hinterzimmer sofort ins Auge: das Symbol des Raben mit den gekreuzten Schwertern über dem Kamin, die lange Tafel mit den sieben Plätzen vor der großen Doppeltür an der hinteren Wand und die kostbar gefertigten weichen Stühle und Sofas. Hier
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