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Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit

Titel: Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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Schwingen die Überfahrt nicht verweigern, und man konnte sie nicht einmal sehr lange aufhalten. Lyannas Nacht hatte begonnen, und Balaias Schicksal hing davon ab, dass Erienne, Denser und Ilkar möglichst schnell nach Herendeneth kamen, um die hinfälligen, geschwächten Al-Drechar zu unterstützen. Die Zeitnot führte jedoch zwangsläufig auch die Schwarzen Schwingen zur Insel. Die Lösung, die sie im Auge hatten, durfte jedoch keinesfalls verwirklicht werden. Das Eine musste überleben.
    Die Schwarzen Schwingen hatten freilich ein Problem. Sie brauchten die Elfen, um sicher durch die Gewässer um Herendeneth zu gelangen, und die Elfen wollten, dass Erienne überlebte. Selik hatte also nicht die unumschränkte Kontrolle über das Schiff, und deshalb hatten sie noch eine Chance. Die zweite Möglichkeit war also die einzige, die Ren’erei tatsächlich noch offen stand. Sie musste den Raben finden und dazu ein Schiff, mit dem sie der Meerulme nach Herendeneth folgen konnten. Wenn möglich, mussten sie sogar früher dort ankommen, und dann konnten sie nur noch hoffen, irgendwie zu siegen.
    Als sie aus dem Wasser stieg und schaudernd im windigen Hafen stand, hörte Ren’erei die Befehle der Elfen weithin hallen. Sie hörte donnernde Hufe, die sich rasch näherten, und sie sah von Südwesten her Lichter kommen.
Sie rannte nach Norden hinter den Fischmarkt in Richtung des Jahrhundertplatzes und fragte sich, ob ihr nun nicht ohnehin alles aus der Hand genommen wurde. Andererseits spielte dies keine Rolle. Sie musste es wenigstens versuchen, und dies bedeutete, dass sie zunächst den Raben finden musste.
     
    Erienne hatte nach kurzer Zeit nicht einmal mehr die Kraft zu schreien. Selik hatte einfach vor ihr gestanden, sein widerliches Lächeln aufgesetzt und gewartet, bis sie sich verausgabt hatte. Jetzt sah sie sich von Furcht, Selbsthass und Hoffnungslosigkeit übermannt, und ihre Knie wurden weich. Sie hatte ein schreckliches Gefühl im Bauch, eine Vorahnung von Qualen und eine aufkommende Furcht, die sich immer mehr ausbreitete und Wellen von Übelkeit durch ihren ganzen Körper jagte. Sie zitterte, die Tränen rannen ihr über die Wangen, ihre Kehle war wund vom Schreien, und sie wehrte sich nicht einmal mehr, als Selik sie auf die inzwischen wieder unnatürlich stille Meerulme zurückzog.
    Selik hielt sie im Nacken fest und zerrte sie übers Deck. Seine Fingerspitzen lagen auf ihrer Kehle, und jedes kleine Zucken eines Fingers war eine Drohung. Auf dem Hauptdeck stieß er sie unter dem Johlen der Schwarzen Schwingen in den Fackelschein. Sie stolperte, stürzte aber nicht, und orientierte sich, so gut sie konnte.
    Die Decksplanken waren mit Blut bespritzt, die Elfen standen mit gesenkten Köpfen und von Schwertern bewacht auf Deck, die Gestürzten lagen, wie sie gefallen waren, einige zuckten sogar noch. In der Nähe umklammerte einer den Bolzen einer Armbrust, der aus seinem Oberschenkel ragte. Sein schmales Gesicht war bleich
und vor Schmerzen verzerrt, und seine Versuche, die starke Blutung einzudämmen, wurden von den Schwarzen Schwingen teilnahmslos beobachtet. Da stand sie nun und konnte wegen der Verletzungen, die Lyanna ihr zugefügt hatte, nicht einmal mehr einen Spruch wirken, um den Mann zu heilen.
    Auch auf anderen Schiffen gingen jetzt die Lichter an, nachdem die Besatzungen vom Kampflärm im Hafen geweckt worden waren. Erienne konnte nur hoffen, dass ihnen andere Matrosen und die Leute aus der Stadt zu Hilfe kämen. Das war alles, woran sie sich noch klammern konnte. Dies, und dass Ren’erei das Richtige tat und nicht etwa versuchte, ohne Hilfe allein wieder an Bord zu gelangen.
    Erienne richtete sich auf, wandte sich an Selik und nahm ihr letztes bisschen Selbstbewusstsein zusammen.
    »Jetzt habt Ihr, was Ihr wollt. Nun helft den Verletzten, bevor ihr Tod die Schuld vergrößert, die Ihr ohnehin schon auf Euch geladen habt.«
    Selik kam kopfschüttelnd zu ihr. »Aber, aber, Erienne. Ihr seid doch wohl kaum in einer Position, Forderungen zu stellen, nicht wahr?«
    »Ihr braucht eine Mannschaft, um das Schiff zu bewegen, oder?« Erienne hörte, wie die Worte über ihre Lippen kamen, doch sie erkannte die Stimme, die sie sprach, nicht als ihre eigene. Die Stimme zitterte, nichts vom üblichen Selbstvertrauen und der gewohnten Stärke war mehr vorhanden. Sie konnte sich kaum auf Selik konzentrieren, der da vor ihr stand. Sein zerstörtes Gesicht und der keuchende Atem bezeugten, was sie ihm angetan hatte,

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