Der bunte Hund von Schreckenstein
zeigten sich die Folgen der blödsinnigen Rauferei — jeder Knochen tat ihm weh. Vor allem der Daumen. Seine Uhr hatte Leuchtziffern, doch die Fesseln hinderten ihn, drauf zu schauen. Erschöpft und im Augenblick ohne Hoffnung, seine Lage ändern zu können, schloß Andi die Augen.
Vielleicht fällt mir später was ein. Vielleicht kommen Ottokar und Stephan noch, wenn sie merken, daß Dampfwalze abgehauen ist. Dieses Riesenroß! Ob sie Bonzo gefunden haben…?
Er mußte eingeschlafen sein, weil er nicht gleich wußte, wo er sich befand. Immerhin fühlte er sich jetzt besser, legte sich auf die Seite, zog die Fersen hoch und versuchte, den Verbindungsstrick zu den Handfesseln zu lösen. Seine Finger fühlten bereits den Knoten, da bekam er einen Wadenkrampf, daß er losließ und sich hin und her wälzte, um nicht laut aufzuschreien.
In seinem Schmerz hörte er nicht, wie der Schlüssel im Schloß umgedreht wurde, hörte nicht die Stimme, die „Andi“ flüsterte. Kaum nahm er die Berührung wahr , den kalten Gegenstand, der seine Hand streifte, versuchte nur verzweifelt die Beine zu strecken, bis es auf einmal gelang. Der Schmerz ließ nach, schwer ging sein Atem. Jetzt fühlte er den kalten Gegenstand. Zuerst zwischen seinen Knöcheln, dann zwischen den Händen. Die Schnur drückte nicht mehr — war er frei?
„Andi!“ flüsterte eine Stimme. „Ich bin’s, Amanda.“
„Amanda!“ erwiderte er und streckte die vier Gliedmaßen.
„Du… du hast mich befreit…?“
„Du hast mich ja auch losgelassen, als ich schon dachte, ich müßte ertrinken.“
„Amanda!“ wiederholte er den Namen mit einem Seufzer der Erleichterung.
„Das darf aber niemand erfahren!“ flüsterte sie schnell, „das muß unser Geheimnis bleiben. Ehrenwort!“
„Ehrenwort!“ versprach Andi, und nichts tat ihm mehr weh. Ihre Hände fanden sich in der Dunkelheit und besiegelten das Versprechen.
„Bist du in Ordnung?“ fragte sie.
Ja.“
„Dann komm jetzt.“ Sie wollte ihre Hand losreißen.
Andi hielt sie fest. „Du mußt mir auch was versprechen.“
„Doch nicht hier. Wenn jemand kommt…“
„Niemand kommt.“ Andi schaute auf seine Uhr. „Du wirst erst um Mitternacht abgelöst.“
„Woher weißt du?“ Es klang erschreckt.
„Ich weiß noch mehr“, sagte er ruhig.
„Was?“
„Daß es dir hier gefällt zum Beispiel und daß du… daß du mich nett findest.“
„Wer sagt denn so was?“
„Du!“ erwiderte er bündig. „Ich bin hinter der Telefonzelle gehockt, als du mit deiner Mutter gesprochen hast.“
„Das ist gemein!“
„Es ging nicht anders. Ich wußte ja nicht, wie du zu mir stehst…“
„Bist du schon so lang da? Dann…“ Sie überlegte, und Andi bestätigte. „Ich hab das Spätzchen geklaut.“
„Ist ja Wahnsinn!“ Amanda kicherte.
„Aber du darfst es auch niemand sagen!“
„Ganz großes Geheimnis!“ versprach sie. „Wo hast du ihn?“
„Ich weiß nicht, ob er noch dort ist. Sag mal, wo habt ihr Dampfwalze?“
„Nebenan.“
„Komm!“ Er suchte ihre Hand. „Aber leise. Er darf uns nicht hören.“
An der Tür blieb Andi stehen. „Moment.“ Er tastete sich durch das dunkle Zimmer zum Fenster und öffnete einen Flügel. Wieder bei der Tür, stieß er mit Amanda zusammen.
„Du denkst auch an alles!“ flüsterte sie.
„Muß ich. Die zerschnittenen Fesseln am Boden, das Fenster auf — so fällt kein Verdacht auf dich.“
Sie drückte seine Hand. Ohne ein Geräusch zu verursachen, traten sie auf den Korridor. Andi zog die Tür zu, drehte langsam den Schlüssel um und führte Amanda zur Telefonzelle.
„Bleib hier stehen!“ flüsterte er ihr ins Ohr. Ihr Haar kitzelte ihn an der Nase. Behutsam zog er am Griff und beugte sich mit einem leisen „Bonzo, ich bin’s!“ hinein. Tatsächlich! Ein Schnaufen der Erleichterung, Bonzo leckte die nach ihm tastende Hand.
„So ist’s brav. Jetzt gehen wir!“ Andi streichelte den wolligen Kopf. Den Rucksack auf einer Schulter, schloß er die Tür und schob Amanda am Arm zum Treppenhaus. Sie öffnete das Portal, selbstverständlich, als sei das nicht ihr erster gemeinsamer Streich. Eine Hand beruhigend auf Bonzos Kopf, trat er hinaus und wartete, bis sie’s wieder geschlossen hatte. Nebeneinander gingen sie an der Hauswand entlang, wo der Kies zu dünn liegt, um zu knirschen.
„Daß der nicht bellt?“ wunderte sich Amanda. „Hast du ihn wirklich?“
„Er ist verschlafen! Aber nicht anfassen!“ warnte Andi.
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