Der Cartoonist
der Straße. Die Temperaturanzeige am Armaturenbrett
blieb dunkel und gab kein Lebenszeichen mehr von sich. Gemäß den Instruktionen
des Automechanikers schlug Krista die südliche Richtung ein, anstatt den
Rückweg nach Norden anzutreten, um von dort aus nach Osten, auf die Interstate
95, abzubiegen. Er hatte gesagt, sie werde etwa fünf Kilometer von der
Tankstelle entfernt einen Zubringer zur Interstate finden - und jetzt tauchte
auch schon das Schild auf.
Die linke
Abfahrt führte zu einer wenig befahrenen Landstraße, die sie an jene erinnerte,
die sie am Vortag in New Hampshire entlanggefahren waren. Plötzlich war die
Landschaft in eine fast unheimliche Dunkelheit gehüllt. Die Scheinwerfer des
Fernlichts reflektierten die Schwärze so, als sei sie eine feste Masse. Hier
und da drang schwacher, gelblicher Lichtschein durch die pechschwarze Nacht: Es
waren die erleuchteten Fenster von Bauernhäusern, die ein gutes Stück von der
Straße entfernt standen. Sie begegneten keinem anderen Fahrzeug. »Sind wir
schon da ?«
In ihre
eigenen Gedanken vertieft, fuhr Krista zusammen, als Kath sich plötzlich
meldete. »Bald, Liebes, ist nicht mehr weit. Warum schläfst du nicht noch ein
bisschen ?«
»Bin nicht
mehr müde .«
Krista wurde
bewusst, dass sich Kath die ganze Zeit über, die ganze verflixte Odyssee
hindurch, wie ein wahrer Schatz verhalten hatte. Schließlich hätte sie ja auch
Theater machen, herumjammern und damit die Sache noch viel schlimmer machen
können, als sie ohnehin schon war. Aber nein. Da zeigte sich wieder mal, wie
reif Kath für ihr Alter war. Dabei hätte ein kleiner Wutanfall vielleicht sogar
gut getan, vor allem, wenn sie beide gleichzeitig getobt hätten.
Nahe an der
gespenstisch wirkenden weißen Mittellinie lag ein totes Murmeltier. Ein großer
schwarzer Vogel - eine Krähe oder ein Rabe — zog ein letztes Mal hastig an
einem Strang von Gedärmen, ehe er sich in die Lüfte schwang und verschwand. Krista
hatte angenommen, dass alle Vögel nachts schlafen. Der Kadaver des Murmeltiers
leuchtete im Scheinwerferlicht kurz auf und tauchte gleich darauf hinter dem
Wagen ins Dunkel.
»Armes altes
Murmeltier«, sagte Kath in einer recht gelungenen Imitation von Mr. Rogers und
verrenkte den Hals, um es in der Nacht verschwinden zu sehen. (Anm. d. U.: Mr.
Rogers bezieht sich auf die Kindersendung »Mr. Roger's Neighbourhood« im
amerikanischen Fernsehen, eine Serie im Kinderprogramm von PBS. Ihr Protagonist
ist Fred Rogers, der kleine Geschichten erzählt und Lieder singt.)
Nach einem
Blick auf die Uhr am Armaturenbrett klemmte Krista den Fuß noch fester aufs
Gaspedal. Vor ihnen bog die Straße scharf nach links.
Einen Moment
lang steuerten sie auf den dunklen Abgrund des Straßengrabens zu, aber gleich
darauf brachte Krista den Wagen wieder auf Spur.
»Grrr-roße,
grüne Klumpen von grässlichen Gedärmen ...«, sang Kath in
schrillsten Tönen.
»Kath !« , sagte Krista lachend. »Das gehört sich nicht .« Es war ein Lied, das sie selbst als Mädchen gesungen
hatte. Kaths schräger Gesang weckte bei ihr Erinnerungen an Lagerfeuer und nächtliche
Gespenstergeschichten.
»Ich weiß«,
kicherte Kath. »Komm schon, Mom, sing mit Grrrrroße...«
Krista stimmte
in den Refrain ein: »... große, grüne Klumpen von grässlichen Gedärmen,
Affenpfot und Hundekot...«
Der Wagen
schoss über eines jener Schlaglöcher hinweg, die einem den Magen umdrehen
können. »Huiiii !« , schrie Krista und beschleunigte im
Rhythmus des Refrains. Die Straße, die mittlerweile aufwärts führte, fiel nach
links steil ab.
»... große,
grüne Klumpen von grässlichen Gedärmen, Affenpfot und Hundekot, alles eingewickelt
zum Erwärmen, und mir fehlt der Löffel, welche Not...«
Hinter dem
Buckel führte die Straße in einer Zickzack-Kurve scharf nach rechts, schärfer,
als Krista erwartet hatte. Sie fuhr viel zu schnell, um das Tempo noch
angemesssen zu drosseln.
Kath, die erst
nach und nach begriff, was Kristas veränderter Gesichtsausdruck bedeutete, ließ
das Lied mit leicht kabarettistischer Pointe ausklingen: » Doch mir fällt
sogleich was ein, ich zieh's mit dem Strohhalm rein ... Schlüüürrrff ! « Gleich darauf
wandte sie den Blick, um durch die Windschutzscheibe zu spähen.
Irgendjemand
stand mitten auf der Straße und schwankte wie ein Betrunkener hin und her.
Im Bruchteil
der Sekunde vor dem unvermeidlichen Zusammenprall schossen Krista verschiedene
Gedanken durch den Kopf, aber keiner
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