Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Cartoonist

Der Cartoonist

Titel: Der Cartoonist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Costello
Vom Netzwerk:
die
stoppelige Wange.
    Caroline
kicherte.
    »Wie fühlst du
dich, mein Kleines ?« Vergeblich versuchte Scott, seine
Tränen zurückzuhalten. Er wollte nicht, dass Kath es merkte, deshalb zog er sie
ganz nah an sich heran.
    »So, als wär
ich betrunken, glaub ich«, erwiderte Kath und lächelte über Scotts Schulter
hinweg ganz schwach Caroline zu.
    »Tut dir
irgendwas weh ?«
    »Nein, ich hab
nur Durst .« Sie lehnte sich wieder zurück und suchte
Scotts Blick. »Caroline sagt, wir hätten einen Unfall gehabt. Bist du böse
wegen dem Auto ?«
    Scott musste
daran denken, wie Krista sich am Telefon wegen des Wagens gesorgt hatte. Das war
erst einen Tag her. Gestern war sie noch am Leben gewesen. »Vergiss das dumme,
alte Auto, ja ?« Er versuchte, sie wieder ganz nah an
sich zu ziehen, aber sie wehrte sich dagegen.
    »Wann kann ich
Mom sehen ?«
    Er hatte
gewusst, dass diese Frage kommen würde, hatte bei der endlosen Fahrt von der
Texaco-Werkstatt bis zum Krankenhaus an nichts anderes gedacht. Dennoch warf
ihn die Frage völlig aus dem Gleichgewicht.
    Caroline
vergrub das Gesicht in den Händen und brach in Tranen aus. Kath blickte nur auf
ihren Vater, suchte in seinen Augen nach einer Antwort. Scott konnte nichts
anderes tun, als ihren Blick zu erwidern. Sein Hirn - oder der Teil davon, der
für das Nachdenken und vernünftige Erklärungen zuständig war - war plötzlich
leer. Wie soll ich die Worte finden ? Was sind
die richtigen Worte? Wie sagt man einem Kind, das seine Flickenpuppe liebt,
an den Weihnachtsmann glaubt und McDonald's super findet, dass seine Mutter
gestorben ist? Hatte er es denn bis zu diesem Moment selbst geglaubt? Wohl
nicht. Denn genau diese unschuldige, schlichte Frage sorgte jetzt dafür, dass
ihn die Wahrheit mit der Wucht einer Kanonenkugel traf. Wie finde ich die
richtigen Worte?
    Aber es waren
gar keine Worte nötig. Kath lehnte sich kraftlos zurück, schmiegte sich in die
Kissen und wandte ihren irgendwie verloren wirkenden Blick zum Fenster und zur
grauen Welt da draußen.
    »Sie ist tot«,
sagte Kath. Eine nüchterne und unwiderlegbare Feststellung. »Ich wusste es, ich
hab davon geträumt .«
    Caroline floh
tränenüberströmt aus dem Zimmer. Scott vergrub das Gesicht in Kaths Kopfkissen
und vergoss die bittersten Tränen seines bisherigen Lebens. Nach einer Weile
zog Kath ihn nah zu sich heran und sie weinten gemeinsam um Krista, die sie für
immer verloren hatten.
    Einige Zeit
später verließ Scott völlig erschöpft und zutiefst deprimiert die
Intensivstation. Irgendwann war Kath schließlich
    in den Schlaf
hinübergeglitten. Anfangs war Scott sehr beunruhigt gewesen, da er fürchtete,
sie werde erneut ins Koma, in den Zustand der Katatonie, oder was immer es
gewesen sein mochte, fallen. Aber als er feststellte, dass sie auf Reize
mühelos reagierte, beschloss er, sie schlafen zu lassen. Zumindest für Kath gab
es diese Fluchtmöglichkeit
    Doch dann fiel
ihm ein, dass sie das Schicksal ihrer Mutter im Traum vorhergesehen hatte, wie
sie ihm erzählt hatte, und ihm wurde klar, dass keiner von ihnen der Wahrheit
entkommen konnte. Sie würden sich Kristas Tod stellen müssen, genau wie dem
eigenen.
    Ja, Krista war
tot, das begriff er jetzt. Und sprach es in der gottverlassenen Stille des
Aufenthaltsraums auf der Intensivstation laut aus: »Krista ist tot .« Kaths Frage hatte ihm diese Tatsache auf brutale Weise
deutlich gemacht und das Schutzschild der Leugnung, unter das er sich
zurückgezogen hatte, so gewaltsam zertrümmert wie eine Spitzhacke, die Glas
zerschlägt. Die Wahrheit traf ihn jetzt mit aller Schärfe, schnitt in sein
Innerstes, aber er würde daran nicht sterben. Denn jetzt gab es Dinge, die er
erledigen musste, Dinge, die rationale Überlegung und peinlich genaue Planung
verlangten. All die Dinge, die Holley ihn am frühen Morgen zu erledigen
gedrängt hatte. Die Pflichten, die ein Todesfall mit sich brachte.
    Er würde sich
um die Bestattung seiner Frau kümmern müssen. Gott ja, die
Bestattung. Er würde damit ein Beerdigungsinstitut in Ottawa beauftragen
müssen, das auch Einäscherungen veranlasste. Krista hatte sich eine
Feuerbestattung gewünscht. Vor vielen Jahren
hatte sie diesen Wunsch irgendwann nachts geäußert, ein, zwei Wochen nach der
Beerdigung seiner Eltern. In jener Nacht war Scott wegen eines heftigen
Sommergewitters aufgewacht und hatte Krista auf einem Stuhl am Fenster
entdeckt, wo sie mit leerem Blick auf das Schauspiel am Himmel starrte.

Weitere Kostenlose Bücher