Der Cartoonist
wir
nicht die geringste Ahnung haben, wie der alte Mann tickt. In mancher Hinsicht
passt er perfekt in die Schublade für Altersdemenz.
Aber es gibt
auch wesentliche Züge, die überhaupt nicht mit dieser Diagnose übereinstimmen .«
Batemans
Gesicht lief rot an. Noch mehr als Unordnung hasste er es, wenn jemand anderes
in aller Öffentlichkeit seine Worte richtig stellte. Scott musste den Kopf zur
Seite drehen, um ein selbstzufriedenes Grinsen zu verbergen.
»Hier, in
diesem Rucksack, liegt ein ganzer Haufen seiner Arbeiten«, bemerkte Bateman. Er
deutete auf einen schweren Wollbeutel, der hinten am Rollstuhl hing.
»Vielleicht möchten Sie das ja mal durchsehen. Die meisten sind ziemlich
makaber und grausam und erinnern an Horror-Comics. Viele Zeichnungen scheinen
sich auf Ereignisse aus den Nachrichten der letzten Zeit zu beziehen,
hauptsächlich Katastrophenmeldungen. Übrigens ein weiterer Beweis, der meine
Theorie zyklisch auftretender, geistig klarer Momente unterstützt. Wir nehmen
an, dass er diese Geschichten im Radio hört und daraus eigene Comic-Versionen
kreiert .« Danach zog sich Bateman mit den Worten »Wenn
Sie mich jetzt entschuldigen würden« zurück.
Und weg war
er. Voller Elan schwebte er mit ausschweifenden, affektierten Schritten durch
die Gänge - und Scott fragte sich zum wiederholten Mal, welchem Geschlecht
dieser Mann wohl den Vorzug gab.
Immer noch in
sich hineingrinsend, näherte sich Scott dem Rollstuhl. »Lassen Sie uns mal
einige von denen hier anschauen. Und dann packen wir's für heute, einverstanden ?« Während seine Studenten eifrig nickten, langte er in den
Rucksack.
»Auuuuu-tsch !« , brüllte Scott und zog seine Hand hastig zurück. Aus
seinem Zeigefinger quoll Blut, die Tropfen klatschten auf die Armlehne des
Rollstuhls. Als einige auf dem nackten Arm des Künstlers landeten, schreckte
der Alte wie bei einem Schlag zusammen. Andere Tropfen sprenkelten den Boden zu
Scotts Füßen, was aber keiner bemerkte. Alle Augen richteten sich auf seinen
Finger.
»Herrgott, noch mal ...«, schrie Scott auf und versuchte
seinen Ausbruch gotteslästerlicher Flüche zu bremsen, während sein
vorwurfsvoller Blick ins dunkle Innere des Beutels wanderte. »Was zum T— ...?«
Eine Studentin
mit deutlichem Übergewicht und Spuren jugendlicher Akne zückte ein halb
verbrauchtes Päckchen Papiertaschentücher und reichte es Scott hinüber. Gleich
darauf spähte sie so vorsichtig in den Beutel, als rechne sie damit, etwas
werde sie gleich anspringen. Als sie sich davon überzeugt hatte, dass keine
Gefahr drohte, steckte sie ihre Wurstfinger hinein und holte unter Rascheln ein
Blatt Papier hervor, dessen Rand blutverschmiert war.
»Sie haben
sich am Papier geschnitten«, bemerkte sie altklug und zog ein Bündel
Zeichnungen heraus.
Der Zeichner
blätterte zu einer neuen, leeren Seite vor und fuhr mit seinen
Bleistiftzeichnungen fort, ohne dass er etwas von all der Aufregung
mitzubekommen schien.
Scott
untersuchte seinen Finger. Die Schnittwunde war schmal, aber erstaunlich tief.
Mit einem kleinen Druckverband würde er die Verletzung schnell verarzten
können, allerdings brannte sie höllisch. Während er auf den schmuddeligen alten
Mann hinabblickte, überlegte Scott, wann er seine letzte Tetanus-Spritze
bekommen hatte.
»Alles in
Ordnung, Herr Doktor ?« , fragte der Inder.
»Ist nicht
weiter tragisch, es schmerzt nur ein bisschen .« Scott
lehnte sich zu der übergewichtigen Studentin hinüber, die die Zeichnungen
bereits durchblätterte. Trotz seiner Absicht, baldmöglichst nach Hause zu
fahren, war sein Interesse durch die letzte Bemerkung Batemans erneut geweckt:
Demnach bezogen sich einige der Zeichnungen auf aktuelle Nachrichtenmeldungen.
Er schaute gespannt auf den Stapel Blätter, den das Mädchen Seite für Seite
durchging.
Bateman hatte
Recht gehabt. Viele der Skizzen waren recht makaber. In diesen Szenen
schaufelten sich halb verrottete, Leichen schändende Ungeheuer aus Gräbern
heraus, aufgedunsene Meereskreaturen grapschten aus veralgten Tiefen des Ozeans
nach den Beinen ahnungsloser Badender, und irgendein großes, dunkles,
wabberndes Etwas lauerte gierig unter dem Bett eines schlafenden Kindes.
Diese letzte
Bildfolge erinnerte Scott an die nächtlichen Ängste, unter denen Kath bis vor
kurzem gelitten hatte. Fast jede Nacht war sie zu völlig unchristlicher Stunde,
um sich schlagend und schreiend, aufgewacht und hatte behauptet, irgendetwas
sei unter ihrem Bett,
Weitere Kostenlose Bücher