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Der Cellist von Sarajevo

Titel: Der Cellist von Sarajevo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Galloway
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verloren.
    Emina hat ihn offensichtlich gesehen und kommt auf ihn zu, worauf Dragan Ausschau nach einem Versteck hält, auch wenn es sinnlos ist. Er kann die Begegnung nicht verhindern, es sei denn, er läuft auf die Straße, und Dragan, der es zwar kaum über sich bringt, einem Fremden freundlich zuzunicken, geschweige denn mit einer alten Bekannten zu sprechen, ist nicht bereit, sein Leben aufs Spiel zu setzen, nur um jemandem aus dem Weg zu gehen. Das tröstet ihn etwas, doch er fragt sich, ob möglicherweise nicht irgendwann der Tag kommt, an dem er eine andere Entscheidung trifft.
    Er starrt auf seine Füße, versucht so zu tun, als wäre er tief in Gedanken versunken, und hofft auf ein Wunder. Vielleicht geht sie vorbei. Könnte schon sein. Möglicherweise geht sie einfach vorbei, ohne ihn zu sehen, läuft über die Straße und kommt unversehrt auf der anderen Seite an, ohne auch nur zu ahnen, dass er da war. Er möchte lediglich die Straße überqueren, sich einen Laib Brot besorgen und so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren. Er möchte niemandem begegnen.
    »Dragan Isović, bist du das?« Eine Hand berührt ihn an der Schulter, und ihm wird klar, dass er tatsächlich tief in Gedanken versunken war. Er lächelt, findet das komisch, und Emina lächelt ebenfalls.
    »Hallo, Emina«, sagt er, beugt sich vor und küsst sie auf beide Wangen. Sie schließt ihn in die Arme. Sie fühlt sich schmächtig an in ihrem blauen Wollmantel. Ihm fällt ein, dass seine Frau einmal gesagt hat, der Mantel gefiele ihr. Er wollte Emina immer fragen, woher sie ihn hatte, damit er ihn für sie kaufen konnte, hat es aber nie getan.
    »Wie geht’s dir? Wie geht’s Riza? Wo wohnt ihr?«
    Er erzählt ihr, so viel er kann, berichtet ihr, dass seine Frau und sein Sohn Sarajevo mit einem der letzten Busse verlassen haben, dass ihre Wohnung als eine der ersten von Granaten zerstört wurde und dass er bei seiner Schwester wohnt. Er kann ihr nicht erzählen, dass seine Frau und sein Sohn bei Nacht aufbrachen und er, als der Bus losrollte, irgendwie das Gefühl hatte, dass er sie nie wiedersehen würde, obwohl sie nur ein paar hundert Kilometer weit fuhren. Er kann ihr nicht von der Nacht erzählen, in der seine Wohnung zerschossen wurde, wie er sich mit seinen Nachbarn im Keller versteckte und darauf wartete, dass das Haus über ihnen einstürzte, oder wie er am nächsten Tag zu seiner Schwester kam, sein Schwager die Tür öffnete und ihn anschaute, als wäre es seine Schuld, dass seine Wohnung zerstört worden war. Er glaubt, wenn er ihr all die Sachen erzählt, die er niemandem erzählen kann, würden sie tagelang dastehen.
    Sie schaut ihn an, und soweit er erkennen kann, weiß sie, dass mehr hinter seiner Geschichte steckt, als er ihr erzählt, aber sie bedrängt ihn nicht. Jeder hat mehr zu tragen, als er sagt. Er weiß nicht recht, was er als Nächstes sagen soll. Soll er sich nach Jovan erkundigen? Was ist, wenn ihm etwas zugestoßen ist oder wenn er sie verlassen hat? Zumindest würde sie sich daran erinnern, dass er ihn eigentlich nie mochte, und das wäre schon peinlich genug.
    Emina rührt sich nicht von der Stelle, steht nur da und wartet darauf, dass er etwas sagt. Sie hat die Haare zurückgebunden, und ein paar braune Strähnen fallen ihr ins Gesicht. Sie steckt sie hinters Ohr, schiebt die Hand wieder in die Manteltasche. Sie kommt ihm schmächtiger vor, als er sie in Erinnerung hat, nicht nur dünner, sondern auch kleiner.
    Er sagt etwas, und sei es auch nur, um das betretene Schweigen zu überbrücken. »Wie geht’s Jovan?«, fragt er und hat Angst vor der Antwort.
    Sie zuckt die Achseln. »Er ist zum Militär gegangen. Ich sehe ihn nicht oft.«
    Dragan ist überrascht. Das hätte er Jovan gar nicht zugetraut. Er kam ihm immer eher wie ein Schwätzer vor als ein Kämpfer.
    Emina zögert, sieht vielleicht seine Überraschung. »Tja, er ist eher eine Art Verbindungsmann für die Regierung, zwischen den diversen Waffengattungen.« Das kann er schon eher nachvollziehen. »Ich bin mir nicht ganz sicher, was er macht. Ich weiß lediglich, dass er so gut wie immer weg ist.«
    Dragan nickt, weiß nicht recht, was er noch sagen soll. »Ein Heckenschütze hat diese Kreuzung unter Beschuss genommen. Bis vor ein paar Minuten jedenfalls. Ich warte, um festzustellen, ob er weg ist.«
    »Hat er jemanden erwischt?« Emina wirkt aufrichtig besorgt. Das kommt Dragan sonderbar vor. Die Toten rundum lassen auch ihn nicht

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