Der Cellist von Sarajevo
Frau zu schleppen, die noch nie ein freundliches Wort für ihn übrig hatte, die sich benimmt, als täte sie ihm einen Gefallen, deren Flaschen keine Henkel haben und die sich keine anderen zulegen will. Wenn sie so an den Flaschen hängt, sollte sie sie zur Brauerei schleppen, zusehen, wie sich das Blut auf den Straßen sammelt und dann weggewaschen wird, wie ein Mann mit einer zerrissenen Leine dasteht und einen toten braunen Hund sucht, während Leichen in einen Kleinbus geladen werden.
Kenan steht auf. Er blickt zurück zur Brücke, zu der Stelle, wo er Frau Ristovskis Wasser versteckt hat. Er wendet sich ab, tritt einen Schritt vor und ergreift das Seil, an dem seine Flaschen hängen. Er beugt sich unter das Joch, wuchtet das Wasser hoch. Kenan setzt einen Fuß vor, dann den anderen. Bald wird er daheim sein.
Drei
Dragan
Eine kleine Menschentraube umringt Emina, der man den Mantel ausgezogen hat, damit der Arm untersucht werden kann. Jemand hat ihn Dragan gereicht, der ihn hält und sich nutzlos vorkommt. Sie wurde am Oberarm getroffen, knapp über dem Ellbogen. Für Dragan sieht es nicht lebensgefährlich aus, aber irgendjemand hat ihr unterhalb der Schulter eine Aderpresse angelegt. Ein Mann, der so aussieht, als kenne er sich mit so etwas aus, sagt, dort sei eine Schlagader, die verletzt sein könnte. Anfangs ist Dragan skeptisch, aber dann fällt ihm ein, dass einem der Arzt die aufblasbare Manschette zum Blutdruckmessen etwa an dieser Stelle anlegt. Emina hat viel Blut verloren, und sie blutet noch immer. Der junge Mann, der ihr das Leben gerettet hat, ist weg. Dragan hat ihn nicht weggehen sehen, weiß nicht, wohin er gegangen ist.
Rund um Grbavica bricht Gewehrfeuer aus, möglicherweise die Antwort der Verteidiger auf den Heckenschützen. Wenn sie wüssten, von wo aus er schießt, könnten sie ihn kriegen. Aber wahrscheinlich wollen sie ihn nur ins Bockshorn jagen, so tun, als wüssten sie, wo er ist. Es könnte ihn dazu bewegen, eine Zeitlang Ruhe zu geben. Oder er schießt erst recht weiter. Vielleicht galten die Salven aber gar nicht diesem oder irgendwelchen anderen Heckenschützen. Womöglich kamen die Schüsse sogar von den Männern auf den Bergen, die einen Keil ins Herz der Stadt treiben wollen.
Irgendjemand ist losgezogen, um ein Auto anzuhalten oder einen Krankenwagen zu rufen. Die Telefone sind wahrscheinlich außer Betrieb. Und die Autos fahren so schnell, dass man kaum eines anhalten kann. Emina ist bei Bewusstsein, und allem Anschein nach hat sie auch keine so starken Schmerzen, wie er dachte. Ihr Gesicht ist kreidebleich.
Er kniet neben ihr nieder, und sie lächelt leicht, als sie ihn sieht.
»Du bist ja immer noch da«, sagt sie.
»Ja.« Er schämt sich und möchte es ihr am liebsten sagen, aber um Verzeihung bitten kann er sie nicht. Dazu hat er kein Recht.
»Er schießt besser, als wir dachten.«
Dragan nickt. »Gut, dass er nicht noch besser ist. Du hast Glück gehabt.«
»Ich wollte mir heute den Cellisten anschauen. Es ist sein letzter Tag. Jovan sagt, danach hört er auf.«
Ein Auto rast die Straße entlang, worauf ein paar Leute hinrennen und winken.
»Jovan wird außer sich sein.« Sie klingt schläfrig, spricht langsam und vernuschelt. »Er will nicht, dass ich rausgehe. Aber ich kann nicht wie eine Gefangene leben. Ich muss ab und zu aus dem Haus und herumlaufen.«
»Jovan wird es überstehen«, sagt Dragan. »Und du auch.« Er sieht, wie das Auto näher kommt. Als er zu Emina hinabblickt, hat sie die Augen geschlossen, aber sie atmet noch.
Das Auto, ein dunkelroter Viertürer, hält an. Die Windschutzscheibe ist zersprungen, und im Seitenblech sind mehrere Einschusslöcher. Zwei Männer springen heraus, lassen die Türen offen und den Motor laufen. Sie werfen einen schnellen Blick auf den Mann, der auf der Straße liegt, erkennen, dass ihm nicht mehr zu helfen ist, und wenden sich dann Emina zu. Nach einer kurzen Untersuchung heben sie sie hoch und legen sie auf den Rücksitz. Sie steigen in ihr Auto und fahren los, noch ehe die Türen zugeschlagen sind.
»Wartet!«, ruft Dragan. Er möchte mitkommen, aber sie sind bereits weg. Er glaubt ohnehin nicht, dass sie ihn mitgenommen hätten, und weiß auch nicht, was er im Krankenhaus hätte tun sollen. Der Mann, der offenbar ein paar medizinische Kenntnisse hat, stellt sich zu ihm. »Sie wird es überstehen«, sagt er. »Sobald sie im Krankenhaus ist, wird man sie wieder zusammenflicken.«
»Es ist also nicht so
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