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Der Cellist von Sarajevo

Titel: Der Cellist von Sarajevo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Galloway
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schlimm?«, fragt Dragan, der sich nicht ganz sicher ist, ob der Mann ihn nur beruhigen will oder ob es stimmt.
    Der Mann zuckt die Achseln. »Sie ist zwar getroffen, aber einigermaßen heil davongekommen. Es ist nur eine Fleischwunde.«
    Dragan schaut den Mann an, glaubt, dass er es ehrlich meint. »Haben Sie gesehen, wie es passiert ist?«
    »Ja. Ich war ein paar Schritte hinter Ihnen.«
    Dragan nickt, und nachdem sie sich eine Weile angeschwiegen haben, geht der Mann weiter, in Richtung Osten, weg von der Kreuzung.
    Dragan setzt sich auf den kalten Beton und lehnt sich an den Güterwaggon. Er hat noch immer Eminas Mantel in der Hand. Irgendetwas scheppert in der Tasche, und als er hingreift, stößt er auf ein Fläschchen Tabletten und eine Adresse. Er steckt sie in die Hosentasche und legt den Mantel neben sich auf den Boden. Sie wird ihn jetzt nicht haben wollen. Niemand will einen Mantel, in dem man angeschossen wurde, selbst wenn sich das Blut auswaschen ließe und die Löcher geflickt werden könnten. Es war ein schöner Mantel, als sie ihn anhatte, aber jetzt kommt er ihm eher unansehnlich vor. Wie ausgedienter Plunder.
    Er wirft einen Blick zu dem Toten auf der Straße, wendet sich dann wieder dem Mantel zu. War getötet zu werden wirklich besser, als verwundet zu werden? Er ist sich nicht mehr sicher. Die Vorstellung, sich über den drohenden Tod im Klaren zu sein, kommt ihm im Vergleich mit einem plötzlichen Ende gar nicht mehr so schlimm vor. Emina wird überleben, davon ist er überzeugt, aber wenn nicht, wenn sie schwerer verletzt sein sollte, wäre es dann nicht besser, einen letzten Blick auf die Welt werfen zu dürfen, auch wenn sie grau und furchtbar ist, als jählings in die Dunkelheit zu stürzen?
    Es kommt ganz darauf an, so wird ihm klar, ob man auf der Welt bleiben will, in der man lebt. Er wird zwar immer Angst vor dem Tod haben, daran lässt sich nichts ändern, aber die Frage ist, ob das eigene Leben diese Angst wert ist. Stellt man sich der schrecklichen Gewissheit, dass man sterben wird, um eines letzten bewussten Augenblicks willen? Dragan wird zu seiner eigenen Verwunderung klar, dass er dies bejaht.
    Als er vor einem Monat auf dem Heimweg von der Bäckerei war, wurde er von einem Trupp in behelfsmäßigen Uniformen umringt, die ihm nach einer kurzen Überprüfung seiner Papiere befahlen, auf die Ladefläche eines Lastwagens zu steigen. Sie gingen nicht auf seine Einwände ein, dass er nach Ansicht der Regierung mit seiner Arbeit in der Bäckerei einen wesentlichen Beitrag zu den Kriegsanstrengungen leistete. Sie scherten sich nicht darum, dass er vierundsechzig Jahre alt war. Später erfuhr er, dass es sich um Milizionäre eines zum Armeekommandeur aufgestiegenen Bandenchefs handelte, die nach der Anzahl der Männer, die sie zusammentrieben, entlohnt wurden.
    Er und die sieben anderen Männer, die sich auf der Ladefläche des Lastwagens befanden, mussten die nächsten drei Tage Gräben an der Front ausheben. Sie hatten keine Waffen, und die einzigen Soldaten weit und breit waren hinter ihnen postiert und hatten den Befehl zu schießen, wenn sie ihren Einsatzort verließen. Keiner wusste, wie nahe sie dem Feind waren, wann auf sie geschossen werden und woher der Tod kommen würde. Man konnte kaum einschätzen, wie viel Zeit verstrich, und sie bekamen keinerlei Verpflegung. Licht spendeten nur die Leuchtspurgeschosse, die über den Himmel zogen, und sie hörten lediglich das Knirschen ihrer Schaufeln und die Einschläge der Granaten. Der Mann neben ihm war so verängstigt, dass er anfing zu weinen, und Dragan musste ihn an der Schulter packen und ihn schütteln, damit er sich zusammenriss oder wenigstens leise weinte. Seinerzeit kam er zu dem Schluss, dass es besser war, sofort zu sterben, statt verletzt zu werden. Die Vorstellung, seine letzten Augenblicke in einem Loch verbringen zu müssen, das er unter vorgehaltener Waffe ausgehoben hatte, war schlimmer als jede Todesangst.
    Später, nachdem sein Vorgesetzter in der Bäckerei erfahren hatte, wo er war, und sich an die zuständigen Stellen gewandt hatte, um für seine Freilassung zu sorgen, unterschied Dragan nicht mehr zwischen den Straßen der Stadt und den Gräben, scherte sich nicht mehr darum, ob die Männer auf den Bergen oder die Verteidiger schossen. Für ihn lief es aufs Gleiche hinaus.
    Jetzt jedoch fragt er sich, ob das ein Fehler war. Er erkennt einen deutlichen Unterschied zwischen diesen Straßen und den Gräben, die er

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