Der Chaos-Pakt
hielt sich dabei aber noch am Fußende des großen Betts fest.
Der Ingenieur stand auf, schob den Stuhl mit der geraden Lehne vom Schreibtisch zurück und holte Weryls Becher vom Tisch, der ihnen als Tafel diente, wenn sie nicht mit den Regenten speisten. »So, da hast du dein Wasser.«
»Weißt du, der Nordwald in Sybra ... die Dichter sagen, er sei trostlos ... kalt ... schrecklich ... aber die Gefahren gehen nicht vom Wald aus, sondern von den gelben Katzen und dem Wind, der dir die Lebensenergie nimmt. Der Regenwald von Svenn ... da ist es genau das Gleiche. Die Menschen reden über die Messerechsen, die Laufschlangen oder die Rhombusfledermäuse. Hier aber ...«
Weryl nahm die mit einem Deckel versehene Tasse, setzte sich mit einem Plumps auf den harten Steinboden und schlürfte das Wasser aus der Tülle. Die Hälfte rann ihm aus dem Mundwinkel.
»Kommt es dir so vor, als wäre der Verwunschene Wald ein einziges großes Lebewesen?«, fragte Nylan. Er hatte sich entschieden, Weryl vorerst die Gelegenheit zu geben, sich nach Herzenslust zu bekleckern. »Ist das nicht ein typischer Aberglaube, wie er einer rückständigen Kultur entspricht?«
»Ich glaube nicht. Außerdem ist doch die Frage, warum wir immer wieder von einem Wald träumen, in dem es Ordnung und Chaos gibt.«
Nylan wollte nicht weiter darüber nachdenken. »Also müssen wir jetzt gegen einen Feind kämpfen, den wir nicht kennen und der aus einem Land kommt, wo es einen Zauberwald gibt, den niemand versteht und der uns Träume schickt?«
»Was bleibt uns übrig?« Ayrlyn schüttelte den Kopf, während sie dem silberhaarigen Jungen beim Trinken zusah. »Oder fällt dir etwas Besseres ein?«
»Ich glaube nicht. Es sei denn, wir wollen wieder fliehen und als Flüchtlinge überall auf Ablehnung stoßen.«
»Also begleiten wir Fornal und beobachten, was am Bergwerk geschieht. Vielleicht finden wir unterwegs noch mehr heraus.«
»Die ganze Angelegenheit entwickelt sich zu einer äußerst unangenehmen Zwangslage«, sagte Nylan. »Sillek hat die meisten ausgebildeten Kämpfer auf dem Dach der Welt verloren, Fornal misstraut allen Fremden. Mich kann er jetzt erst recht nicht mehr leiden. Dennoch sind wir auf ihn angewiesen. Er will aber nicht, dass wir ihn begleiten.«
»Er ist nur einer von drei Regenten«, erinnerte Ayrlyn ihn. »Wir könnten einfach einen anderen fragen.«
»Wen denn?«
»Gethen«, sagte Ayrlyn. »Zeldyan hat sich schon für uns eingesetzt und Fornal sah aus, als hätte er sie am liebsten umgebracht, als sie ihn vom Hof drängte.« Ayrlyn hielt stirnrunzelnd inne. »Sie hat versucht, ihn daran zu hindern, sich in aller Öffentlichkeit völlig zum Narren zu machen, aber er hat es nicht einmal verstanden.«
»Wir Männer sind manchmal so.« Mit einem Auge Weryl beobachtend, trat der Ingenieur ans offene Fenster, durch das ein heißer Wind hereinkam und ihm die Haare zauste. Der Wind brachte unvertraute Gerüche mit sich – eine Kombination von Zitrone, Minze und Reisera.
»Sollen wir jetzt gleich zu Gethen gehen?« Nylan beförderte Weryl ins Badezimmer.
»Entspricht es nicht einem Schmied, das Eisen zu schmieden, solange es noch heiß ist?« Die Heilerin folgte ihm lächelnd.
Es dauerte nicht lange, Weryl zu säubern, und nach kurzer Zeit verließen sie ihr Zimmer wieder und betraten den inneren Flur des Bergfrieds.
Im Gang war es stickig und erheblich wärmer als in ihrem Zimmer. Nylan war nass geschwitzt, kaum dass sie ein paar Dutzend Schritte gemacht hatten, um den ältesten Regenten aufzusuchen.
Gethen war weder im alten Turm noch in der Waffenkammer. Sie fanden ihn im Stall, wo er mit einem kleinen Mann mit hartem Gesicht und schütterem braunem Haar über einen Braunen sprach.
Das große Pferd schnaubte, trampelte unruhig herum und wich vor dem Regenten zurück, als dieser mit Guisanek die Box betrat.
Nylan und Ayrlyn zogen sich in den Schatten neben der Eingangstür zurück und warteten. Völlig lautlos waren sie zwar nicht, denn Weryl murmelte vor sich hin, aber sie waren weit genug von den beiden Männern entfernt, um, wie Nylan hoffte, nicht aufdringlich zu wirken.
Der Geruch von Pferden, Stroh, Lehm und Dung wehte ihnen in die Nase, während sie warteten.
Merthek, der Stallbursche mit dem blonden Haar, tauchte auf und verneigte sich.
»Guten Tag, Engel. Euren Pferden geht es gut«, erklärte er. »Ich habe Edicat, das ist der Hufschmied, überredet, die Stute, aber nicht den Braunen, neu zu beschlagen.«
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