Der Chaos-Pakt
hatte.
»Du hast keinen Durst«, informierte Sylenia ihren Schützling.
Nylan vermutete, dass Weryl einfach nur reden wollte, aber so frühreif sein Sohn in gewisser Weise auch zu sein schien, sein Wortschatz war noch sehr begrenzt. Deshalb bat er immer nur um Wasser.
»Vor uns liegen die Ruinen einer Stadt. Vielleicht war es Clynya, aber das ist schwer zu sagen.« Ayrlyn schauderte und richtete sich im Sattel auf.
»Es ist schwer zu sagen?« Aber Nylan glaubte schon zu wissen, was Ayrlyn antworten würde.
»Genau. Du weißt es doch.«
Ja, er wusste es. Die Stadt war ebenso niedergebrannt worden wie die Gehöfte, an denen sie bisher vorbeigekommen waren.
Sie zügelten die Pferde auf der Hügelkuppe und sahen sich um. Vor ihnen lag, Meile auf Meile zu beiden Seiten des Flusses, nichts als verbranntes Land. War das rauchende Durcheinander am rechten Flussufer wirklich alles, was von der Kaserne übrig war, in der sie einmal einquartiert gewesen waren?
Außer dem beißenden Geruch von Asche und Schlacke nahmen sie auch den Gestank von verkohltem Fleisch wahr. Dünne graue Rauchwolken kräuselten sich in den Nachmittagshimmel hinauf. Außer einem Hund, der über die frühere Hauptstraße Clynyas irrte, bewegte sich nichts.
»Clynya? Ist das Clynya?«, fragte Sylenia mit erstickter Stimme.
»Wir glauben es.« Nylan betrachtete die Ruinen von Kaserne und Stallungen. Soweit er es sehen konnte, schien das eingesunkene Dach aus Grassoden noch zu glimmen.
»Sie sind Dämonen ...«
Nylan nickte und fragte sich abwesend, wie diese Leute einerseits derart saubere und angenehme Häuser bauen und andererseits völlig gewissenlos ganze Städte samt den Bewohnern ausradieren konnten. Ayrlyn hatte einmal gesagt, dass eine fortschrittliche Technologie es leichter machte, Milde walten zu lassen, aber die Cyadoraner schienen nicht milder, sondern grausamer als ihre weniger fortschrittlichen Nachbarn zu sein.
»Es liegt wohl daran, dass sie Fremde nicht für echte Menschen halten.« Ayrlyn räusperte sich.
»Und weil sie glauben, dass Gewalt die einzige Sprache ist, die jeder versteht?«
»Wahrscheinlich.« Nylan spürte, was sie empfand. Einerseits musste sie akzeptieren, dass die Menschen hier nur auf Gewaltanwendung reagierten, andererseits hasste sie diese Welt, in der es keine anderen Möglichkeiten zu geben schien.
»Die Cyadoraner und Fornal sprechen in diesem Punkt die gleiche Sprache. Eisen, immer nur kaltes Eisen, etwas anderes gibt es nicht.« Er zog an den Zügeln. Was sie auch tun würden, es half ihnen nicht weiter, wenn sie herumsaßen und die schmorenden Ruinen Clynyas anstarrten. »Und was jetzt? Reiten wir weiter?«
»Hast du einen besseren Vorschlag?«
Er schüttelte den Kopf. Sogar der Hund – falls es ein Hund gewesen war – hatte sich inzwischen verzogen. Nur der Rauch wehte über das Ostufer des Flusses. »Was meinst du, wie lange es her ist?«
»Ein oder zwei Tage.«
Warum hatte alles so lange gedauert? Warum war er so begriffsstutzig gewesen? Und selbst wenn sie jetzt bald die cyadorischen Horden einholten, was sollten sie tun?
»Wir hätten nicht schneller herkommen können, vergiss das nicht«, erinnerte Ayrlyn ihn.
»Du hast gut reden.« Und ich weiß immer noch nicht, wie ich sie aufhalten soll ...
»Verwende ihr eigenes Ungleichgewicht gegen sie ... genau wie du es gesagt hast.« Ayrlyn lenkte ihren Braunen näher an sein Pferd und sie ritten nebeneinander die Straße zu den Ruinen von Clynya hinunter.
»Um sie zu vernichten?« Nylan rieb sich den Nacken, dann schob er die rechte Hand unter die Ledergurte des Schultergeschirrs und versuchte, die steife linke Schulter zu massieren.
»Du bist doch derjenige, der immer wieder darauf hinweist, dass die Leute nur auf Gewalt reagieren.«
»Ich habe aber gewisse Schwierigkeiten damit, dass es so ist.«
»Du willst nicht werden wie Ryba«, meinte Ayrlyn.
»Genau.«
»Gewalt einzusetzen bedeutet nicht, dass man sich dessen rühmen oder es genießen muss.« Ayrlyn beugte sich etwas zu ihm herüber und berührte kurz sein Handgelenk. »Jedenfalls sollten wir uns zunächst überlegen, wie wir das Ungleichgewicht am besten gegen sie selbst richten können.«
Nylan nickte. Wenn sie ihre Fähigkeiten nicht einsetzten, um zu überleben, würden sich moralische Fragen ohnehin von selbst erledigen. Das Problem war nur, dass man, hatte man sich einmal fürs Überleben entschieden, die moralischen Ansprüche schnell vergaß.
»Das macht dir
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