Der Chinese
furchterregend«, sagte Tobias Ludwig. »Die Frage ist, ob so etwas schon jemals in Schweden vorgekommen ist.«
Robertsson schüttelte den Kopf. Vivi Sundberg betrachtete die beiden Männer. Das Gefühl, dass Eile geboten war, dass etwas noch Schlimmeres passieren würde, wenn sie sich nicht beeilte, wurde immer stärker. »Fang mit den Namen an«, sagte sie zu Tobias Ludwig. »Ich bin wirklich auf deine Hilfe angewiesen.«
Dann nahm sie Robertsson am Arm und führte ihn die Straße hinunter. »Was denkst du?«
»Dass ich Angst habe. Hast du keine?«
»Ich komme nicht dazu, darüber nachzudenken.« Sten Robertsson betrachtete sie mit zusammengekniffenen Lidern. »Aber du hast eine Vermutung? Die hast du meistens.«
»Diesmal nicht. Es können zehn Personen gewesen sein, ohne dass wir im Moment ja oder nein sagen können. Wir arbeiten ohne Anhaltspunkte. Aber du musst mitkommen zur Pressekonferenz.«
»Ich hasse es, mit Journalisten zu reden.«
»Das hilft nichts.«
Robertsson verschwand. Sie wollte sich gerade in ihren Wagen setzen, als sie Erik Hudden winken sah. Er kam auf sie zu und hielt etwas in der Hand. Er hat die Mordwaffe gefunden, dachte sie. Das wäre das Allerbeste, das könnten wir wirklich brauchen. Es sei denn, wir könnten den Täter fassen. Aber Erik Hudden hatte keine Waffe in der Hand, sondern einen Plastikbeutel, den er ihr reichte. Darin lag ein rotes Seidenband. »Das hat der Hund gefunden«, sagte er. »Wo?«
»Im Wald. Ungefähr dreißig Meter von dem Bein entfernt.«
»Gibt es Spuren?«
»Das untersuchen sie gerade. Aber der Hund hat das Band markiert. Er hat keine Anstalten gemacht, die Suche tiefer in den Wald hinein fortzusetzen.« Sie hob den Beutel dicht ans Gesicht. Um den Inhalt genau zu betrachten, hielt sie ihn vor ein Auge. »Es ist dünn«, sagte sie. »Scheint Seide zu sein. Habt ihr sonst nichts gefunden?«
»Nur das. Es leuchtete im Schnee.«
Sie reichte den Beutel zurück. »Das ist nicht gerade viel«, sagte sie. »Auf der Pressekonferenz können wir der Welt mitteilen, dass wir neunzehn Tote und eine Spur in Form eines roten Seidenbands haben.«
»Wir finden vielleicht noch etwas anderes.«
»Tut das. Und fasst am besten den Menschen, der das hier getan hat. Oder das Monster, sollte man vielleicht sagen.«
Als Erik Hudden gegangen war, setzte sie sich in ihren Wagen, um allein zu sein und nachzudenken. Durch die Windschutzscheibe sah sie, wie die alte Julia von zwei Frauen des mobilen Pflegedienstes fortgebracht wurde. Sie lebt in glücklicher Unwissenheit, dachte Vivi Sundberg. Julia wird nie begreifen, was in den Häusern um sie herum in dieser Januarnacht geschehen ist.
Sie schloss die Augen und ließ die Namenliste vor ihrem inneren Auge abrollen. Immer noch konnte sie die Namen nicht mit den Gesichtern verbinden, die sie jetzt schon viermal gesehen hatte. Wo hat es angefangen? Ein Haus war das erste, eins muss das letzte gewesen sein. Der Täter, ob er nun allein war oder nicht, muss gewusst haben, was er tat. Er hat die Häuser nicht nach dem Zufallsprinzip ausgesucht, er ist nicht zu den Aktieninhabern gegangen und nicht zu der senilen Frau. Er hat ihre Häuser in Ruhe gelassen.
Sie öffnete die Augen und starrte durch die Windschutzscheibe. Es ist geplant, dachte sie. So muss es sein. Aber kann ein Irrer sich auf eine solche Tat vorbereiten? Ist das vorstellbar?
Sie glaubte durchaus, dass ein wahnsinniger Mensch sehr rational handeln konnte. Derartige Erfahrungen hatte sie früher schon gemacht. Sie erinnerte sich an einen MichaelKohlhaas-Typ, der vor vielen Jahren im Amtsgericht von Söderhamn eine Waffe gezogen und den Richter und viele Unbeteiligte erschossen hatte. Als später die Polizei bei seiner Behausung draußen im Wald erschien, hatte er überall Sprengladungen angebracht. Er war ein Wahnsinniger mit einem leidenschaftlichen Plan.
Sie goss sich den Rest aus der Thermoskanne ein. Das Motiv, dachte sie. Auch ein Geisteskranker braucht ein Motiv. Vielleicht rufen innere Stimmen ihn dazu auf, alle zu töten, die ihm in die Quere kommen. Aber konnten die Stimmen ihn wirklich nach Hesjövallen geführt haben? Und wenn ja, warum? Eine wie große Rolle spielte der Zufall in diesem Drama?
Der Gedanke brachte sie zurück zu ihrem Ausgangspunkt. Alle Dorfbewohner waren nicht tot. Drei Personen hatte der Mörder verschont, obwohl er auch sie hätte töten können, wenn er
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