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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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als geborener Coramantier nicht in allen Einzelheiten kenne. Ich persönlich halte auch nicht viel davon, aber ich lasse die Männer gewähren. Solange sie mir sonst gehorchen, soll es mir recht sein. Wenn du mehr über diesen Kult wissen möchtest, frage ein paar Leute vom Stamm der Fon aus dem westlichen Afrika. Sie wohnen in unserem Dorf, ebenso wie die Mitglieder vieler anderer Stämme. Sicher hast du schon gemerkt, wie unterschiedlich die Menschen bei uns aussehen, auch wenn sie alle eine dunkle Hautfarbe haben. Wir sind eben eine Zuflucht für alle verfolgten Sklaven im karibischen Raum.«
    Okumba hatte die Freunde unterdessen aus dem Dorf hinausgeführt und war ein paar hundert Schritte weiter im dichten Unterholz stehen geblieben. Er deutete auf einen kahl geschlagenen Platz, der in seinen Eckpunkten von vier brennenden Bodenfackeln erhellt wurde.
    »Hier ist es«, sprach er mit gesenkter Stimme, »achtet darauf, dass ihr von den Tanzenden nicht gesehen werdet. Frauen und Kindern ist übrigens das Zusehen bei Strafe verboten, man sagt, es würde Unglück über die Familien der Beteiligten bringen.«
    Während seiner Worte waren mehrere, mit kurzen Speeren bewaffnete Schwarze auf den Platz getreten. Vitus erkannte unter ihnen Kango, den Jüngling, der seine Mutprobe noch vor sich hatte. Die jungen Männer, die bis auf ein Schamtuch völlig nackt waren, bildeten einen Kreis, setzten sich und stimmten eine schwermütige Melodie an. Ihre Oberkörper schwangen dabei vor und zurück.
    Links und rechts des Platzes traten weitere Schwarze hinzu. Sie waren mit Erdfarben bemalt und trugen große Trommeln. Wie auf ein geheimes Zeichen stellten sie sich zu beiden Seiten in einer Reihe auf und begannen ihre Instrumente mit der flachen Hand zu bearbeiten. Es war ein schwerer, eingängiger Rhythmus, den sie erzeugten, begleitet von dem auf- und abschwellenden Summen der Sitzenden.
    Vitus sah, dass ein weiterer Mann auftauchte, der sich in seiner Kleidung von allen anderen unterschied. Er trug eine fratzenhafte Maske mit vielerlei Vogelfedern und ein bodenlanges Wollgewand aus bunten Streifen. An seinem Gürtel hingen zahlreiche Glöckchen, die bei jedem seiner Schritte klingelten. In seinen Händen hielt er eine große hölzerne Schüssel, die er feierlich im Kreis absetzte. Dann verteilte er daraus etwas nicht Erkennbares, das jeder Jüngling mit geschlossenen Augen zum Mund führte.
    »Was tut er da?«, flüsterte Vitus.
    Der Riese antwortete ebenso leise: »
Der Houngan
, also der Priester, gibt den Jünglingen
Nanacatl
. Das sind kleine schwarze, in Honig eingelegte Pilze. Meine Cimarrones haben diesen Brauch von den Indianern übernommen. Warum, weiß ich nicht, denn es lag vor meiner Zeit. Jedenfalls sind sie sicher, dass
Ewe wudu
, wie wir den Großen Schutzgeist nennen, daran Gefallen findet.«
    »Und wozu dienen die Pilze?«
    »
Nanacatl
enthält ein berauschendes Gift. Du wirst bald sehen, was es bewirkt.«
    Inzwischen waren die Instrumente lauter geworden. Der Singsang der Sitzenden hatte sich verstärkt, ihre Oberkörper zuckten im Takt der Musik.
    Der Magister raunte: »Ich verfluche den Piraten Jawy, dem ich es verdanke, dass ich hier wie ein blindes Huhn stehe. Hätte ich doch nur meine Berylle wieder! Ich erkenne nicht mehr als einen Farbenbrei!«
    »Un ich späh gar nix, ’s Gesprauß am Grund is gar zu dick.«
    Hewitt schwieg wie so häufig.
    Ein weiteres Mal gab der
Houngan
an die Sitzenden
Nanacatl
aus. Die dumpfen Schläge der Trommeln verstärkten sich. Ein Hahn stolzierte in den Kreis, ein verängstigtes Tier, von dem niemand der Zuschauer hätte sagen können, woher es so plötzlich kam. Der am nächsten Sitzende packte es an Kopf und Schwanz, stieß einen gellenden Schrei aus und hieb seine Zähne in den Hals. Es war Kango, der Jüngling, der später seine Mutprobe bestehen sollte. Der Hahn flatterte verzweifelt, wollte sich befreien, doch Kangos Biss war zu stark. Tiefer und tiefer gruben sich seine Zähne in das zuckende Fleisch. Nur Augenblicke später erlahmte die Gegenwehr des Vogels, er bäumte sich ein letztes Mal auf, die Krallen zuckten, dann war es vorbei.
    Der
Houngan
riss dem Hahn den Kopf ab und hielt ihn wie eine Trophäe hoch. Dann lief er von Jüngling zu Jüngling und bespritzte jeden einzelnen mit dem hervorschießenden Blut, den Hahnenkopf dabei wie einen Weihwedel schwenkend.
    Mit rot besudelten Gesichtern sprangen die jungen Männer auf, stießen Schreie aus, kehlig und

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