Der Chirurg von Campodios
guttural – Töne, deren Ursprung nicht mehr Mensch und nicht mehr Tier war. Sie schwangen ihre Speere, wurden wilder und wilder und begannen einen Stampftanz, der die Erde unter ihren Füßen erbeben ließ.
Der
Houngan
tanzte mit ihnen; er sprang um sie herum, warf sich vor ihre Speere, spielte mit ihnen, reizte sie, hüpfte vor und zurück und markierte schließlich eine halbrunde Linie am Boden, indem er mehrere Reihen von Knochen ausstreute. Die Knochen waren klein, es mochten Hühner- oder Katzenknochen sein, und sie wurden, trotz des ekstatischen Tanzes, kein einziges Mal von den Füßen der jungen Schwarzen berührt.
Endlich lief der
Houngan
zum hinteren Rand des Platzes, wo weitere Bodenfackeln von unbekannter Hand entzündet worden waren. Sie warfen rotgelbes Licht auf einen mannshohen, vielblättrigen Busch, der sich wie durch Zauberei teilte und den Blick freigab – auf eine Graspuppe. Eine Puppe, die ihrem ganzen Aussehen nach ein spanischer Infanterist war.
Sie trug eine echte metallene Sturmhaube mit dem typischen scharfen Kamm. Der
Houngan
trat vor sie, bespie sie und bespritzte sie mit dem Blut des Hahnenkörpers, dann schrie er mit weit geöffneten Armen seltsame Worte in den Nachthimmel:
»Awan aran daia waran daria sere!«
Vitus wandte sich leise an Okumba: »Was hat der
Houngan
gerufen?«
»Die Worte bedeuten: Halte die Augen offen, um den Feind zu erkennen. Und schweige!«
Ein Ruck war durch die Jünglinge gegangen. Sie standen stumm und steif, den Speer über der rechten Schulter haltend, mit den Augen Maß nehmend. Dann, als hätten sie sich abgesprochen, schleuderten alle gleichzeitig ihre Waffe auf den spanischen Soldaten.
Keiner der Speere fehlte. Ein halbes Dutzend Schäfte steckte in der Brust der Puppe, die sich nun, bedingt durch die Last, zur Seite senkte und ins Gras fiel.
Als wäre durch diese Handlung auch aus ihren Körpern alle Kraft gewichen, sanken die Jünglinge zu Boden. Stoßweise atmend lagen sie da. Der
Houngan
erschien erneut. Er hielt eine zweite Holzschüssel in der Hand, darin eine Flüssigkeit, von der er die Jünglinge trinken ließ.
»Was macht er jetzt?«, fragte Vitus.
»Er gibt den Jungen ein Gegengift, das die Wirkung von
Nanacatl
nahezu augenblicklich aufhebt. Was bleibt, ist eine Art Benommenheit, ähnlich jener nach zu viel Alkoholgenuss«, antwortete Okumba.
»Aber was soll das bezwecken?«
»Die Benommenheit, zusammen mit der Schwäche nach der körperlichen Anstrengung, soll die Mutprobe zusätzlich erschweren. Kommt mit. Wie ich bereits sagte, bin ich kein großer Anhänger dieses Kults, aber bei der anschließenden Mutprobe trete ich offiziell auf.« Okumba bog die Zweige des Unterholzes auseinander und schritt hinüber zu den Jünglingen.
Vitus und die Freunde folgten ihm. Im Schein der vielen Fackeln erkannten sie, dass die jungen Männer tatsächlich einen geschwächten, ja geradezu willenlosen Eindruck machten. »Wo ist der
Houngan
«, fragte Vitus den Riesen.
»Der Priester vergräbt den Hahnenkopf in geweihter Erde, an einem Ort, den niemand kennt. Der Hahn war ein Opfertier für
Ewe wudu
, damit er unsere jungen Männer bei dem, was nun kommt, schützt.«
»Wurde die Strohpuppe auch ›geopfert‹?«
Der Riese schüttelte den Kopf. »Nein, sie wurde getötet. Nach dem
Ewe wudu
-Glauben ist das gleichbedeutend mit dem Töten eines Spaniers aus Fleisch und Blut. Der Tod des Spaniers – oder aller Spanier – wird dadurch Wirklichkeit.«
Der kleine Gelehrte blinzelte erschreckt. »Beim Blute Christi, das will ich nicht hoffen! Ich bin schließlich ebenfalls Spanier!« Der Riese lächelte. »Ich denke, du brauchst nicht um dein Leben zu fürchten, Magister. Es ist schwer vorstellbar, dass der Tod einer Strohpuppe das Dahinscheiden aller Spanier nach sich zieht. Um ehrlich zu sein, ich bezweifle sehr, dass dadurch auch nur ein einziger Don sein Leben lassen muss. Aber diesen Gedanken spreche ich lieber nur vor Fremden wie euch aus. Er wäre dem Kampfgeist meiner Männer abträglich. Und kämpfen können sie – wie der Teufel, vor dem ihr Christen euch so fürchtet.«
Okumbas Lächeln erlosch. »Tapferkeit und Todesmut sind lebenswichtig für uns. Wir können die Spanier nicht in offener Schlacht besiegen, dafür fehlt es uns an Waffen und Pferden. Wir kämpfen Mann gegen Mann. Möglichst in einem Gelände, das nur wir kennen. Wenn wir zuschlagen, dann kurz und mit aller Härte, anschließend ziehen wir uns sofort wieder
Weitere Kostenlose Bücher