Der Chirurg von Campodios
es dem kleinen Kerl die Sprache.
Kango und seine Kameraden hatten unterdessen einen Entschluss gefasst. Einer von ihnen, es war der Kleinste und Behändeste, schob sich Zoll für Zoll nach vorn, die Bestie dabei keinen Moment aus den Augen lassend. Er umfasste seinen Speerschaft mit beiden Händen am äußersten Ende, gerade so wie den Griff eines zweihändigen Schwerts. Zwischen ihm und der Spitze, mit der er das Netz aufzunehmen gedachte, befand sich auf diese Weise die gesamte Länge des Speers – ein Abstand, von dem er hoffte, dass er bei einem Angriff des gepanzerten Untiers ausreichen würde.
Die eiserne Spitze schob sich in eine der Maschen, wurde hochgehoben – und verlor das Netz wieder.
Die Menge keuchte. Ein Spaßvogel rief: »Die Echse ist harmlos. Meine Schwiegermutter ist gefährlicher!«
Verhaltenes Gelächter.
Wieder schob sich die Speerspitze in eine Masche, grub sich dabei etwas in den Boden, wurde angehoben und glitt erneut heraus. Der Besitzer versuchte es von vorn – und stand jählings in einer mächtigen, alles verdeckenden Staubwolke. Die Echse hatte zugeschlagen, heimtückisch, unverhofft und schneller als ein Chamäleon seine Zunge entrollt. Ein hässlicher, knackender Laut war hinter der grauen Wolke zu vernehmen, und ein Schauer durchlief die Menge. Als der Staub sich gelegt hatte, lag in der Mitte des Platzes das Netz. Und in ihm, zersplittert und zerbrochen, die Reste des Speeres.
Die Echse selbst offenbarte sich erst auf den zweiten Blick. Sie stand auf ihren vier Beinen, das dreieckige Maul halb geöffnet, an der gegenüberliegenden Seite der Brüstung.
Den drei angehenden Kriegern war nichts zugestoßen. Sie waren kampffähig wie zuvor, wenn man davon absah, dass sie einen Speer eingebüßt hatten.
Als wäre nichts geschehen, ließ das Reptil sich auf seinen Bauch nieder und klappte die Schnauze zu. Von dem Mordgebiss war nichts mehr zu sehen, nur zwei Unterkieferzähne ragten seitlich spitz hervor.
Langsam bewegte sich Kango zur Mitte. Er konnte dies einigermaßen gefahrlos tun, denn der Abstand zur Echse war nun sehr viel größer. Er bückte sich, nahm das Netz auf und trat damit rasch wieder zurück. Nachdem er die Reste des Speers entfernt und die Maschen entflochten hatte, begann er das Netz wie ein Fischer auszuwerfen.
»Warum macht er das?«, fragte Vitus leise in Richtung Okumba. Der Riese, dessen Kopf sich auf einer Höhe mit dem des Zwergs befand, antwortete: »Er versucht, das Netz über den Rücken des Reptils zu werfen, in der Hoffnung, dass es sich in den Hornplatten verfängt. Ist das gelungen, wird er sich bemühen, das Tier umzudrehen, damit seine Kameraden ihm ihre Speere ins Herz rammen können. Ein Krokodil ist nur auf seiner Unterseite verwundbar. Der Panzer ist so hart, dass die beste Waffe dagegen nichts ausrichten kann. Das gilt übrigens auch für Musketenkugeln. Ich habe es selbst gesehen.«
»Un haste schon mal Echsenfleisch gepickt, Oberschwarzmann?«, fistelte der Zwerg.
»Ja, es ist durchaus genießbar. Die Spanier behaupten, es schmecke ähnlich wie Pferdefleisch. Doch nun lasst uns sehen, ob die Jungen die Mutprobe bestehen.«
Das Netz, von Kango immer wieder geworfen, hatte sich mittlerweile in den harten Schuppen des Reptilrückens verhakt. Der Jüngling begann zu ziehen. Zuerst stetig, dann ruckartig, dann nach links, nach rechts, doch es schien, als sei die Echse mit dem Erdboden verwachsen. Sie rückte und rührte sich nicht. Kangos Kameraden legten die Speere beiseite und sprangen ihm zu Hilfe. Mit vereinten Kräften versuchten sie es erneut. Jetzt ging es besser. Ein paar Mal wurde das Tier durch den Zug des Netzes angehoben. Aber es drehte sich nicht, es rutschte lediglich und hinterließ eine breite Spur im Sand.
Dann griff es an.
Blitzartig schoss es vor, das Maul mit den nadelspitzen Zähnen weit geöffnet, und schnappte zu – ins Leere.
Kango und seinen Kameraden war es gelungen, im letzten Augenblick auszuweichen. Wieder stand die Echse stumm wie ein Fels, so als hätte sie sich niemals bewegt. Doch mit einem Unterschied: Ihr Maul war kaum einen Fuß entfernt von Mbaka, dem kleinsten und behändesten der Jünglinge. Und Mbaka lag am Boden, denn er war beim Fortspringen gefallen.
Würde die Echse abermals zuschnappen?
Längst war es totenstill hinter der Brüstung geworden. Nur die Laute des Dschungels drangen vereinzelt herüber. Zoll für Zoll, mit unendlicher Vorsicht, hob Mbaka seinen Oberkörper, keinen Blick
Weitere Kostenlose Bücher