Der Chirurg von Campodios
Last, leichtfüßig ausschritt, »aber ich glaube, Mbaka können nur noch die Geister helfen. Niemals zuvor sah ich, dass eine solche Verletzung geheilt werden konnte.«
Vitus biss sich auf die Lippen. Er hastete zusammen mit Kango hinter dem Riesen her. »Jeder Augenblick zählt!«, stieß er hervor. »Denn mit jedem Augenblick verliert Mbaka mehr Blut.« Er drückte Kangos Hemd gegen die Wunde, denn sein eigenes war bereits völlig durchtränkt. Und noch immer tropfte das Blut heraus.
»Da vorn ist es schon«, rief Okumba unvermittelt. »Wir sind da! Das Dorf ist erleuchtet, als gäbe
Ewe wudu
sich persönlich die Ehre.«
Kurz darauf zeigte sich, dass in Okumbas Haus alles aufs Beste vorbereitet war. Das Feuer im Küchenraum der alten Frauen prasselte, und der Kesselboden glühte fast weiß. Der Magister hielt das eiserne Gerät am Henkel bereit. Vitus sprang hinzu und rief: »Okumba, leg Mbaka draußen im Gras ab, dreh ihn auf die Seite, die Wunde nach oben.«
Er nahm den Kessel an der Kette auf und wog ihn in der Hand. Wenn er den Boden auf die Wunde drückte, würde es eine Verbrennung geben, wie er sie sein Lebtag noch nicht gesehen hatte. Es würde zischen und qualmen und stinken, aber die Blutung würde zum Stillstand kommen. Vielleicht würde die Verbrennung auch zum Tode führen, denn er hatte nichts, um sie zu behandeln. Nichts außer ein paar Zwiebeln, die er auf die gekauterte Wunde legen konnte.
Mit diesen Gedanken eilte er nach draußen, dorthin, wo Okumba den Schwerverletzten abgelegt hatte. Mbaka lag da wie ein erlegtes Wild, und sein Gesicht hatte jenen Ausdruck, vor dem Vitus sich die ganze Zeit gefürchtet hatte.
Es war der Ausdruck des Todes.
»Trink erst einmal etwas, das wird dir gut tun.« Eine gute Stunde war seit Mbakas Tod vergangen, und Okumba, der mit den Freunden in seinem großen Haus saß, hielt Vitus eine Schale mit roter Flüssigkeit hin.
»Ich mache mir die größten Vorwürfe. Immer wieder frage ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, mit Mbaka am Ort der Mutprobe zu bleiben und dort zu versuchen, die Blutung zu stillen.«
»Es wäre aufs Gleiche hinausgekommen, glaub mir. Das Blut floss aus der Wunde wie aus einem Stiefel ohne Sohle«, erwiderte der Riese betont sachlich. »Es mag dir grausam erscheinen, aber unsere Mutproben bringen solche Verletzungen häufiger mit sich. Niemand käme deshalb auf die Idee, sie abzuschaffen. Es ist immer noch ehrenvoller, bei einer Mutprobe zu sterben, als auf der Folterbank der Spanier. Wir werden die Prüfung demnächst wiederholen. Mbaka ist tot, das ist nicht zu ändern. Er wird von allen betrauert werden, wie es die Sitte verlangt. Danach wird er in das Land seiner Götter eingehen – mit Unterstützung des
Houngans.
Nun nimm schon die Schale.«
»Was du sagst, klingt in der Tat sehr hart.« Zögernd griff Vitus nach dem Gefäß.
»Nur wer hart ist, kann hier überleben. Koste jetzt.«
Vitus gehorchte. »Das ist ja Wein! Ich dachte, in deinem Haus gäbe es keine Rauschgetränke?«
»Gibt es auch nicht. Bei besonderen Anlässen wie diesem mache ich allerdings eine Ausnahme.«
»Willst du selbst nichts trinken?« Vitus wollte die Schale zurückgeben.
»Ich trinke nie und nehme niemals berauschende Drogen. Beides schwächt auf Dauer nur.«
Vitus reichte die Schale an den Magister weiter, der zunächst die Augen schloss und den Duft des Rebensaftes einatmete, bevor er schlürfend kostete. »Ein gutes Tröpfchen und, wie es scheint, ein spanisches dazu«, meinte er anerkennend, um danach ernst fortzufahren: »Ich trinke darauf, dass Mbakas Seele ewiges Leben beschieden sein möge.« Er wischte sich den Mund. »Weißt du, Okumba, mit dem Alkohol ist es wie mit allen Drogen: In Maßen genossen ist er gesund, im Unmaß jedoch von Schaden. Betrüblich ist nur, dass die meisten Menschen das rechte Maß nicht kennen.« Er gab die Schale an Enano weiter.
Vitus war in Gedanken noch immer bei Mbakas Tod. »Ich hätte Dongo zu Rate ziehen sollen. Möglicherweise kennt er Arzneien aus dem Urwald, die mehr vermögen, als ich mir vorzustellen vermag.«
»Dongo war zu dem Zeitpunkt gar nicht da«, erwiderte der Riese. »Er vergrub den Hahnenkopf in geweihter Erde. Nein, wenn jemand Mbaka hätte retten können, dann wären es die Geister gewesen.
Ewe wudu
oder
Bondye
oder die
Loas
.«
»Oder Gott der Allmächtige«, entgegnete Vitus. »Seinem Ratschluss obliegt es, wie unser Leben verläuft. Ob wir alt werden oder jung sterben. Ob
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