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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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von dem Furcht einflößenden Maul lassend. Als er sich halb aufgerichtet hatte, atmete er durch und wollte mit einem Satz davonspringen.
    Doch dazu kam es nicht.
    Mbaka hatte sich mit dem Fuß in einer Netzmasche verfangen und fiel erneut. Er fiel in einen riesigen Wirbel aus Staub und Schuppen und Zähnen.
    Die Echse hatte abermals zugestoßen.
    Und diesmal hatte sie ihr Opfer gepackt. Es gab einen knirschenden, malmenden Laut, einen gellenden Schrei, und als der Staub sich gelegt hatte, sahen die Zuschauer mit Grauen, dass Mbaka der rechte Arm fehlte. Er ragte wie ein Ast aus dem Maul der Bestie, die sich bereits wieder an die Brüstung zurückgezogen hatte, dort stocksteif verharrend.
    Mbaka schrie fortwährend weiter und wälzte sich vor Schmerzen am Boden. Eine Blutlache bildete sich schnell, breitete sich aus und erreichte Kango, der dadurch zur Besinnung kam. In seinem Gesicht arbeitete es. Er blickte von Mbaka zur Bestie und wieder zurück. Was sollte er tun? Mbaka zu Hilfe kommen oder ihn vor weiterem Unheil bewahren? Dann hatte er sich entschieden: Er nahm das Netz auf und warf es erneut über die Echse. Wie als Antwort kam ein zweites Netz von der Brüstung hereingeflogen und bedeckte sie ebenfalls. Ein drittes folgte.
    Jetzt war der Bann gebrochen. Mehrere Cimarrones sprangen in den Kreis, bewaffnet mit Schwertern und Speeren, um Kango und seinem Kameraden zu helfen. Pfeile wurden auf die Augen der Echse abgeschossen, Fackeln aus dem Boden gerissen und das Reptil damit beworfen. Der Schwanz des Tiers begann den Boden zu peitschen, es wollte flüchten, doch die Netze hielten es umklammert. Die Männer grölten vor Lust und vor Angst und zerrten an den Maschen, bis die Bestie rücklings im Sand lag – hilflos den Speeren ausgeliefert, Mbakas Arm noch immer im Maul. Wie im Rausch waren die Männer über dem Tier; sie hieben, hackten, stießen in seinen weichen Leib, bis es vollständig zerstückelt war.
    Mbaka schrie nicht mehr. Eine gnädige Ohnmacht hatte ihn von seinen Schmerzen erlöst. Vitus hockte neben ihm und untersuchte die Wunde. Sie sah grauenhaft aus. Der Arm war am Rumpf mitsamt der Gelenkkugel abgetrennt worden. Blut quoll weiter in Stößen hervor. Wenn Mbaka überleben sollte, musste die Stelle sofort abgebunden werden. Doch wie band man einen Arm ab, der nicht mehr vorhanden war?
    Vitus riss sich das Hemd vom Leib und stopfte es in die Wunde, während er fieberhaft überlegte, was zu tun sei. Eine derart große Verletzung konnte nicht gekautert werden, schon deshalb nicht, weil es so große Brenneisen nicht gab. Auch war kein ausreichendes Feuer in der Nähe. Gab es denn überhaupt eine Möglichkeit?
    Sein Hemd war bereits halb durchgeblutet. Er nahm es aus der Wunde und stopfte es von der anderen Seite hinein. Eine Idee kam ihm. Ja, es gab ein großes, prasselndes Feuer! Er hatte es bei den beiden alten Frauen gesehen, die für Okumba das Essen zubereiteten. Über diesem Feuer hatte ein Kessel gehangen, mit rot glühendem Boden, wohl weil die Alten vergessen hatten, ihn mit Wasser zu füllen …
    »He, Magister, he, Enano, lauft zurück ins Dorf zu den beiden alten Weiblein, die für den Häuptling kochen. Sie sollen ihr Feuer so hell wie noch nie anfachen. Ich brauche weiße Glut, viel weiße Glut!«
    »Willst kautern, wie?«, versetzte der kleine Gelehrte. »Und mit was für einem Eisen?«
    »Mit dem Kesselboden.«
    Der Magister riss ungläubig den Mund auf. Dann machte er ihn wieder zu. »Sind schon unterwegs!«
    »Wui, wui, haste, was kannste!«
    »Beeilt euch!« Vitus schaute sich um. »Okumba!«
    Der Riese, der alle Hände voll zu tun gehabt hatte, seine wild gewordenen Cimarrones zur Vernunft zu bringen, blickte fragend herüber.
    »Ich brauche eine Trage oder so etwas, um Mbaka ins Dorf zu transportieren. Es muss rasch gehen!«
    Der Häuptling eilte heran. »Eine Trage ist nicht das Richtige. Sie verlangt an jeder Ecke einen Mann, und die Pfade im Urwald sind schmal. Ich nehme Mbaka auf den Rücken.« Ohne ein weiteres Wort lud er sich den leblosen Körper auf die Schultern, ein Unterfangen, das schwieriger war als gedacht, denn Mbakas willenlose Gliedmaßen entglitten immer wieder seinen zupackenden Händen. »Was hast du vor?«, fragte der Riese, während seine Linke hochfuhr, um Mbakas Kopf abzustützen.
    Vitus sagte es ihm, während sie sich in Marsch setzten.
    »Du bist sicher ein guter Arzt, Vitus«, meinte der Häuptling zweifelnd, während er, trotz seiner erheblichen

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